Armut bekämpfen – eine gemeinsame Verantwortung

Autor: Bischof Dr. Georg Bätzing, Bischof von Limburg und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. 

(März 2025) Die nachhaltigen Entwicklungsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) sind der zentrale Maßstab für staatliche und nicht-staatliche Entwicklungszusammenarbeit. Dass die Bekämpfung der Armut an erster Stelle steht, ist kein Zufall. Sie ist die Voraussetzung für eine gerechte und nachhaltige Zukunft. Die Bekämpfung der Armut in allen ihren Formen und damit die Sicherung einer menschenwürdigen Existenzgrundlage bildet die unabdingbare Voraussetzung für die Agenda 2030 und ist zugleich von deren Erreichung abhängig.

Die COVID-19-Pandemie hat viele der zwischenzeitlich erreichten Fortschritte in der weltweiten Armutsbekämpfung zunichte gemacht. So ist infolge der Pandemie die Zahl der in extremer Armut lebenden Menschen erstmals wieder angestiegen. Hinzu kommen die fatalen Auswirkungen der Klimakrise, die vulnerable Bevölkerungsgruppen ungleich stärker betreffen. In einer Zeit, in der Isolationismus und nationale Egoismen eine Hochkonjunktur erleben, gerät die staatliche wie auch nicht-staatliche Entwicklungszusammenarbeit unter einen besonderen Begründungsdruck.

Während meines Besuchs in Bafoussam in Kamerun im Mai 2024 wurde mir deutlich: Ohne gemeinsame Anstrengungen lässt sich Armut nicht wirksam bekämpfen. Im Limburger Partnerbistum Kumbo im Nordwesten Kameruns herrschen seit Jahren kriegerische Auseinandersetzungen. Unsere Partnerinnen und Partner vor Ort konnten uns eindrucksvoll berichten, wie das Zusammenspiel aus sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Krise die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung bedroht.

Kirchliche Entwicklungszusammenarbeit ist kein „Nice-to-have“ 

Am Beispiel Kameruns ist mir aufs Neue bewusst geworden, dass die kirchliche Entwicklungszusammenarbeit kein „Nice-to-have“ ist, sondern einer doppelten Verantwortung entspringt. Einerseits ist hier die historische Verantwortung zu benennen. Ob im Fortbestehen willkürlich gezogener und insofern konfliktbehafteter Grenzen, in ungerechten politischen Institutionen oder in verstärkten wirtschaftlichen Abhängigkeiten – die Folgen der kolonialen Ausbeutung sind bis heute spürbar. Der Befund, dass der Globale Norden in erheblichem Maße zur Entstehung der Armut im Globalen Süden beigetragen hat, ist unausweichlich. Andererseits besteht neben dieser historischen Verantwortung im Hinblick auf die Klimakrise auch eine gegenwärtige und künftige Verantwortung für die Bekämpfung der weltweiten Armut. Der Reichtum der westlichen Industrienationen basiert bis heute in erheblichem Maße auf der Ausbeutung unseres Planeten und insbesondere der Länder des Globalen Südens.

Papst Franziskus wird nicht müde, die Verflechtungen von sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Krise zu benennen. In seiner Enzyklika Laudato si‘, die vor zehn Jahren veröffentlicht wurde, benennt er die multiple Krise eindrücklich: „Wir kommen [...] heute nicht umhin, anzuerkennen, dass ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde.“

Damit ist zugleich benannt, dass die Bekämpfung der Armut weit über finanzielle Transfers hinausgehen muss. Es geht insbesondere in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit um einen Erfahrungsaustausch, um die Bildung einer Lerngemeinschaft angesichts gemeinsamer Herausforderungen. Ohne über die in finanzieller Hinsicht zweifelsohne bestehenden Machtasymmetrien hinwegzusehen, können so in gemeinsamer, aber unterschiedlicher Verantwortung Akzente für gerechtere Gesellschaften gesetzt werden.

Christlicher Grundauftrag

In dieser Hinsicht gilt es, das transformative Potenzial der Religionen zu heben. Alle Religionen betonen die Bedeutung, sich den Armen und Ausgegrenzten zuzuwenden.  So ist es auch für Christinnen und Christen weltweit ein Grundauftrag, sich gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. In Deutschland kommt hierbei den kirchlichen Hilfswerken eine Schlüsselrolle zu. Die Formulierung des SDG 1 „Bekämpfung der Armut in allen ihren Formen“ deutet an, dass Armut ein mehrdimensionales Problem ist. Die Pandemie hat uns vor Augen geführt, dass die Folgen der Armut nicht selten Isolation, Ausgrenzung und Einsamkeit sind. So sehr es nach einer Binsenweisheit klingen mag, so zutreffend ist der Befund: Armut macht krank.

Kinder und ältere Menschen sind besonders betroffen

Gerade in einer Zeit, in der der Reichtum und auch der politische Einfluss der Reichen exponentiell ansteigen, gilt es, der Perspektive der Marginalisierten Sichtbarkeit zu verschaffen, ohne in die Falle der Bevormundung zu tappen. Der Blick auf unsere eigene Gesellschaft zeigt, dass auch in Deutschland der Kampf gegen die Armut nicht gewonnen ist. Die Armutsgefährdungsquote liegt noch immer bei über 14 Prozent, und insbesondere Kinder und ältere Menschen sind von Armut und deren sozialen Folgen massiv betroffen. Trotz oder gerade wegen aller bereits erreichten Fortschritte gilt es, sich noch entschiedener und gemeinschaftlich für die Bekämpfung der Armut in allen ihren Formen in Deutschland und weltweit einzusetzen. Dazu wollen die Kirchen weiterhin ihren Beitrag leisten.