Masterarbeit, Fachbereich Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, 87 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Der Bedarf an Beschulungsmaßnahmen für geflüchtete Jugendliche ist seit 2015 enorm gestiegen. Dafür wurden unter anderem InteA-Klassen an beruflichen Schulen gegründet. Da das Programm erst seit etwa zwei Jahren existiert, konnten bisher nur wenige evaluative Daten dazu gesammelt werden. Die bisher vorhandenen Evaluationen beziehen sich auf die Struktur und Umsetzbarkeit des Programms, nicht jedoch auf die subjektiven Bedürfnisse der geflüchteten Jugendlichen. Deshalb beschäftigt sich die vorliegende Untersuchung mit Problemen, die in diesem Programm aus Sicht der Schülerinnen und Schüler auftreten. Sie wurden unter anderem zu den Punkten Lehrkräfte, Erstsprachgebrauch, Unterrichtsfächer und Mitschüler befragt.
Von den geflüchteten Schülerinnen und Schülern zu sprechen, stellt sich als schwierig dar, weil es sich um eine sehr heterogene Gruppe handelt. Geflüchtete kommen aus verschiedenen Ländern und Kulturen. Dies bedeutet, dass im Schulwesen Personen mit den unterschiedlichsten Vorerfahrungen und Gewohnheiten zusammenkommen. In der vorliegenden Studie wurden 12 Schüler zwischen 16 und 20 Jahren aus Afghanistan, Eritrea, Äthiopien, Syrien und Pakistan im Rahmen problemzentrierter Leitfadeninterviews zu ihren Erfahrungen und Erlebnissen in deren InteA-Klasse befragt. Der Kontakt wurde über soziale Medien und ehrenamtliche Vereine hergestellt. Leider konnten keine Mädchen gefunden werden, die sich für ein Interview bereit erklärten.
Im Folgenden sollen die wichtigsten Ergebnisse der Studie kurz dargestellt werden. Mit den Lehrkräften gibt es einige Probleme. Es wird deutlich, dass die Schüler unzufrieden sind, wie Inhalte, vor allem im Fachunterricht, sprachlich vermittelt werden. Außerdem fühlen sie sich in manchen Punkten ungerecht behandelt, da ihnen die Möglichkeit verwehrt wird, sich zu erklären. Dies zeigt sich vor allem bei den Fehlzeiten. Geflüchtete haben Termine und Aufgaben, auf die sie keinen Einfluss haben. Es scheint so, als wären die Lehrkräfte mit dieser Situation in InteAMaßnahmen häufig überfordert. Gerade für Geflüchtete ist ein stabiles Umfeld, in dem sie sich akzeptiert und verstanden fühlen, jedoch von großer Bedeutung.
Bei den Kontakten und Freundschaften erzählen alle Interviewten, dass es innerhalb der Schule keinen Kontakt mit Schülerinnen und Schülern aus Regelklassen gibt. Dies ist als besonders negativ zu werten, da die Schule einen optimalen Raum für soziale Integration geben würde. Zum einen lassen sich konkrete Möglichkeiten finden, wie beispielsweise gemeinsamer Sportunterricht. Zum anderen könnte der Kontakt auch im außerfachlichen Bereich hergestellt werden, etwa in Form von Patensystemen. Sehr positiv zu bewerten ist hingegen die Tatsache, dass trotz der verschiedenen Kulturen und Nationalitäten innerhalb der InteA-Klassen keine auf Diversität zurückzuführenden Differenzen auftauchen.
Ein sehr negativ zu bewertendes Phänomen ist das durchgehende Verbot des Gebrauchs der Erstsprache. Dies ist didaktisch nicht nachvollziehbar. Die Erstsprache kann zum einen dafür genutzt werden, sich gegenseitig Dinge zu erklären wie beispielsweise Aufgabenstellungen oder Arbeitsanweisungen und kann deswegen für den Unterrichtsverlauf enorm zeitsparend sein. Wenn sprachlich stärkere Schüler den etwas schwächeren helfen, kann dies außerdem dafür sorgen, dass der oft genannte Punkt der Langeweile verhindert wird – und noch wichtiger, dass sich ein auf gegenseitiger Unterstützung basierter sozialer Zusammenhalt intensiviert. Weiterhin ist es natürlich, dass sobald gleichsprachige Gesprächspartner anwesend sind, gelegentlich die Erstsprache verwendet wird. Dies generell zu kritisieren, kann als Geringschätzung der Fähigkeiten und der Identität der Schüler verstanden werden. Denn auch wenn sprachliche und gesellschaftliche Integration notwendig ist, bedeutet das nicht, die eigene Identität, zu der auch Sprache und Werte zählen, aufgeben zu müssen.
Der Asylstatus ist gerade bei den Schülern aus Afghanistan noch unsicher, beziehungsweise befinden sich die Befragten im Prozess des Einspruchs gegen die Ablehnung. Dies kann die Stimmung und Motivation beeinflussen, jedoch geben die Befragten hier keinen Zusammenhang an. Dennoch müssen Lehrkräfte beachten, dass eventuelle Verhaltens- und Lernveränderungen unter Umständen auf diese existentiellen Entwicklungen zurückzuführen sind.
Der Stundenplan bietet das größte Diskussionspotential. Hier zeigt sich keiner der Befragten zufrieden. Dies ist besonders hervorzuheben, da diesem beim Erstellen des InteA-Konzepts wohl am meisten Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Die Aspekte, die Erleichterung bringen sollen, wie die unterschiedlichen Unterrichtszeiten, empfinden alle Schüler als nachteilig für ihren Alltag. Zum einen wird die vorgesehene Vereinfachung bei der Terminplanung dadurch nicht erreicht, zum anderen sehen die Schüler darin eine Herausforderung, ihren Alltag möglichst regelmäßig zu gestalten. Ein angemessener Umgang mit den dadurch entstehenden hohen Fehlzeiten ist etwas, das den Lehrkräften bewusst gemacht werden muss. Sie müssen verstehen, dass die Gründe für das Fehlen oft nicht bei den Geflüchteten zu suchen sind. So können zwischenmenschliche Spannungen vermieden werden.
Die aufgestellte These, dass schulische Probleme nicht nur sprachlicher Natur sind, sondern von anderen Faktoren wie zwischenmenschlichen Differenzen und interkulturellen Konflikten geprägt sind, kann somit bestätigt werden. Sicherlich können nicht alle Probleme innerhalb kürzester Zeit gelöst werden. Dennoch könnte es helfen, durch mehr Transparenz sowohl den Schülerinnen und Schülern, als auch den Lehrkräften gegenüber, ein größeres Verständnis für viele Schwierigkeiten aufzubauen. Wird transparent dargelegt, wie ein System funktioniert, kann besser nachvollzogen werden, warum bestimmte Dinge, subjektiv gesehen, falsch laufen.