Bildungsdisparität durch migrationsbezogene Diskurse. Subjektkonstruktive Bildungsungleichheiten durch die Benennung des männlichen "migrationsanderen" Jugendlichen im Bildungswesen

Autor: Derya, Abdurrahim
Jahr: 2017

Bachelorarbeit, Fachbereich Sonderpädagogik, 73 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

In der Bachelorarbeit „Bildungsdisparität durch migrationsbezogene Diskurse“ wurde die subjektkonstruktive Bildungsdisparität bzw. die Entstehung des Ungleichen im Bildungswesen im Zusammenhang der Benennung des männlichen migrationsanderen Jugendlichen in bildungs- und migrationsspezifischen Diskursen bearbeitet. Zur Erklärung und Beantwortung wurde die Subjekttheorie (Louis Althusser, Michel Foucault und Judith Butler) mit der Rassismustheorie (Stuart Hall) in Bezug zueinander gesetzt und mit der Sprachtheorie (Jaques Derrida, John L. Austin) zusammengeführt.

Das Bildungswesen als sozialisierende Instanz zeigt sich mit ihrer vergesellschaftenden Aufgabe als subjektkonstitutiver Wirkungsort, in der gesellschaftliche Zusammenhänge gültig sind. In ihr zirkulieren gegenwärtige bildungs-und migrationsspezifische Diskurse, die mit entsprechenden Bildungs- und Transformationsprozessen bzw. Subjektbildungsprozessen einhergehen. Den Diskursen liegen verschiedene Unterscheidungspraxen, die an Macht- und Ungleichheitsverhältnissen anknüpfen, infolge der Migrationsandere nach natio-ethno-kulturellen Unterscheidungsmerkmalen erzeugt wird, vor (Paul Mecheril). Nach Judith Butler liegen Diskursen Machtverhältnisse vor, die diese reproduzieren, während sie ihre Dominanz aus Normabweichung wie Korrektiven erhalten und diese prominent wiederholen. Das ungleich positionierte Schüler-Subjekt figuriert sich, so Nadine Rose, schließlich durch den Vollzug diskursiver (oder personaler) Anrufungen in subalterne Subjektpositionen durch performative Wiederholung rassismuselevanter Sprechakte, die (Nicht-)Zugehörigkeiten voraussetzen bzw. vorausmarkieren. Sie beinhalten Abweichannahmen, durch die relationale und hierarchisch organisierte Positionen aufgebaut und gegenüberstellt werden. Die Angerufenen werden in Diskursen (anders/fremd) deplatziert, unterdessen die Schüler-Subjekte ihre De-Platziertheit (auch im Widerstand) übernehmen; sich der Normalität und Konvention entsprechend als suspektes Subjekt markieren, positionieren lassen oder sich sogar danach verhalten. Die Schüler fügen sich, so wie Stuart Hall Rassismus als Diskurs charakterisiert, in ein dominierendes kulturelles Repräsentationssystem. Somit besitzen die Diskurse einen machtvollen, reglementierenden und begrenzenden Kern, die durch Unterwerfung unter Normen der sozialen Welt existenz- wie machtverleihend wird.

Alle Diskurse, so auch die bildungs- und migrationsrelevanten Diskurse (zuvorderst die migrationspädagogischen und diversitätsbezogenen Ansätze) generieren vorrangig das wissens- und machtkonstitutive Subjekt. Sie verwenden den kategorial Anderen wie den vergleichskategorialen Norm-Deutschen und implizieren das Innere und Äußere einer Gesellschaft, wodurch die kategorial erzeugte Grenze funktional und somit legitim wird, wohingegen ihre Dysfunktionalität illegitim ist. Die wissenschaftlichen Diskurse benennen in der Wiederholung, wenngleich sie oppositär, kritisch oder dekonstruktiv zu sehen sind, migrationsspezifische wie rassismusrelevante Begriffe. Sie wiederholen faktisch die Außerhalbpositionierungen von bestimmten Personengruppen, während ihnen die wissenschaftliche Geltung vorliegt dies durchzusetzen und ihre zitathaften Anrufungen sowie deren Wiederholungen berechtigt erscheinen. Die Aussagen über diskriminierende Handlungen auf sozialer, schulischer und schulökonomischer Ebene müssen, unabhängig ihrer Ambition und Intention Kritik an gesellschaftlich-schulischen Hegemonien ausüben zu wollen, selbst aus den Unterscheidungen und Aus- wie Abgrenzungsmustern schöpfen. So kommen bildungs- und migrationstypische Diskurse, selbst migrationspädagogische und diversitätsspezifische Ansätze inklusive dieser Bachelorarbeit, ohne die Benennung und Wiederholung von Kategorisierungen sowie impliziter (Voraus-)Markierung und (Voraus-)Positionierung nicht aus. Dabei ist die Benennung des migrationsanderen männlichen Schülers eine zitathafte und machtvolle Anrufung. Ihre Nutzung als Kategorie wirkt unter dichotomisierenden und essentialisierenden Voraussetzungen diskriminierend. Durch die Kategorisierung werden Menschen klassifiziert bzw. (voraus)markiert und je nach Markierung und gesellschaftlicher Relevanz positioniert, während die Klassifizierung zugleich ihre Entstehungsbedingung ist, durch die sie vergegenständlicht wiederrum in (Bildungs-)Ungleichheitsuntersuchungen aufgegriffen werden. Eine (selbst-)reflexive und machtkritische Benennung könnte dagegen chancengleiche Subjektbildungseffekte fördern, wohingegen ungünstige Anrufungen (chancen-)ungleiche befördert und jene migrationsbedingte Bildungsdisparität bedingen kann. Die Verantwortung wird dem Anrufenden wie dem Angerufenen zuteil, aber insbesondere denen, die sich in der wissenschaftlich und hegemonial abgesicherten Reichweite befinden, da ihnen aus der höheren Diskurs-Position die Geltung vorliegt.