Fridays for Future – das Ende einer politikverdrossenen Jugend? Leitfadeninterviews mit Schüler*innen in Wien und Hamburg

Autor: Nix, Paula; Ziesemer, Merle
Jahr: 2020

Masterarbeit, Fachbereich Erziehungswissenschaft, 242 Seiten, dt.

 

Zusammenfassung:

Seit August 2018 demonstrieren weltweit jeden Freitag Schüler*innen unter dem Namen „Fridays for Future“ (FFF) lautstark für einen besseren Klimaschutz; nach und nach unterstützt von weiteren Gruppierungen unter anderem aus Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft. Neben der Tatsache, dass die Demonstrationen in der regulären Unterrichtszeit der Schüler*innen stattfinden – und somit eine juristische Debatte auslösten – ist es besonders beachtenswert, was diese Form des Protestes, ausgehend von der damals 15-jährigen Schwedin Greta Thunberg, bei den Schüler*innen bewirkt und wie dies ihr Leben beeinflusst. In unserer Masterarbeit haben wir uns daher damit beschäftigt, inwiefern die FFF-Bewegung einer Politikverdrossenheit entgegenwirkt, die Jugend politisiert und welchen Beitrag sie zum Demokratielernen zu leisten vermag. Dazu wurden Expert*inneninterviews mit an FFF teilnehmenden Schüler*innen in Hamburg und Wien geführt und mit Hilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.

„Demokratie lernt man im eigentlichen Sinne nur durch das Handeln, so wie man Schwimmen nur durch Schwimmen lernt“ (Fauser 2013). Entsprechend ist es von größter Bedeutung, dass junge Menschen schon früh die Möglichkeit erhalten, neben der Aneignung von Faktenwissen auch selbstständig zu agieren und praktische Erfahrungen zu sammeln. Die aus den Interviews gewonnenen Erkenntnisse zeigten, dass dies durch die Teilnahme an FFF gewährleistet werden konnte: Für die im Rahmen dieser Arbeit interviewten Schüler*innen bot sich die Gelegenheit, gemäß den Forderungen des Hamburgischen Schulgesetzes an der Gestaltung einer der Humanität verpflichteten, demokratischen Gesellschaft mitzuwirken und sich für das Wohl der Menschen weltweit sowie insbesondere der zukünftigen Generationen einzusetzen. Die Schüler*innen zeigten dabei, dass sie aktiv am sozialen, gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben und auch versuchen, eigenständig in gesellschaftliche und politische Belange einzugreifen.

Insgesamt wurde erkennbar, dass sowohl die Interviewten in Wien als auch die Interviewten in Hamburg bereits vor ihrer Teilnahme an den Demonstrationen verschiedene demokratische Kompetenzen besaßen und diese im Verlauf der Teilnahme an der Bewegung vertiefen konnten. Gleichzeitig führte ihre Beteiligung aber auch zum Erwerb neuer Kompetenzen: Alle befragten gaben an, während ihres Engagements Anerkennung und Wertschätzung erfahren sowie ein Gefühl des Empowerments erlebt zu haben. Insbesondere das Gefühl der Ermächtigung sowie das Gemeinschaftsgefühl bei den Protesten wirkten als Verstärker für ihre Motivation, weiter zu partizipieren, und stimmen sie optimistisch, dass der Zusammenschluss Vieler zum Erfolg führen kann. Entsprechend signalisierten sie eine positive Einstellung zur Demokratie und sahen sich weitestgehend in der Lage, politisch Einfluss nehmen zu können – so sehr, dass auch Widerstand und Skepsis sie nicht von ihrem Handeln abhielten.

Schon vor den Protesten waren die Schüler häufig politisch interessiert und teilweise auch engagiert; ihre Bereitschaft, demokratisch zu partizipieren, erfuhr im Laufe der Bewegung aber weiteren Aufschwung. Die Schüler*innen nahmen alle freiwillig an den Protesten teil und konnten sich dies oft auch aufgrund ihres eher privilegierten sozialen Hintergrunds und ihrer schulischen Leistungen „erlauben“ – während manchen Mitschüler*innen durch Fehlzeiten Probleme von Seiten der Schule entstanden wären. Teilweise äußerten die Befragten Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem – nicht jedoch am politischen System der Demokratie, dem sie ausnahmslos positiv gegenüberstanden. Ihre Generation beschrieben sie größtenteils eher als politischer als vorherige Generationen, etwa, weil sie heute vermehrt dazu gedrängt würden, sich mit politischen Themen auseinanderzusetzen und Position zu beziehen. Auch zeigte ihr Glaube an eine Einflussmöglichkeit auf die Arbeit der Regierung, dass zumindest unter den Befragten keine Politik(er)Verdrossenheit herrschte.

Alles in allem erscheint es auf der Basis der Interviews so, als wenn die Teilnahme an FFF den Schüler*innen zum Demokratielernen sowie zum Ausbau bereits vorhandener und zum Erwerb zusätzlicher demokratischer Kompetenzen verhelfen konnte und ihr Selbstwirksamkeitsgefühl sowie ihre Partizipationsbereitschaft gestärkt wurden. Darüber hinaus leistete die Beteiligung an der Bewegung vermutlich einen Beitrag zur relativ ausgeprägten Politisierung der Jugendlichen und bot ihnen die Gelegenheit, Erfahrungen zu sammeln, die politikverdrossenen Einstellungen entgegenzuwirken vermögen.