Offenheit und Reflexion – Kognitive Verzerrung und nachhaltige Entscheidungen

Autor: Reuchlein, Konstantin
Jahr: 2020

Bachelorarbeit, Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften, 77 Seiten, dt.

 

Zusammenfassung:

Die Arbeit „Offenheit und Reflexion“ beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Limits von moralischer Handlung. Der Gedanke war, nachhaltige Handlung zu beschreiben, nach einer Definition von Nachhaltigkeit wurden dafür zwei Modelle moralischen Handelns herangezogen.

Um sich diesem Thema anzunähern wird Kohlbergs Modell der Moralentwicklung genutzt. Kohlberg beschreibt die Entwicklung in 3 Ebenen. Die meisten Menschen entwickeln sich nur bis zur konventionellen Ebene, die in der Anwendung eines gegebenen Gesetzes und gegebener Normen zum Ausdruck kommt. Für nachhaltige und globale Handlungen aber muss die postkonventionelle Ebene erreicht werden. Kohlberg erstellt hierfür eine Liste von Eigenschaften die er für nötig hält um sich in seinem Modell weiterzuentwickeln.

Diese Liste deckt sich zu großen Teilen mit dem Konzept der Achtsamkeit und erinnert auch an Aristoteles. Dieser argumentiert in seiner Mesoteslehre für das Erreichen eines ausgewogenen Zustandes, eines Mittelwertes zwischen extremen Ausprägungen menschlicher Emotionen. Auch das Achtsamkeitskonzept befasst sich mit dem Ideal einer Mäßigung im Sinne von Offenheit und Reflexion. Offenheit steht für die Bereitschaft sich auf neue Wege zu begeben oder neue Arten des Denkens zuzulassen und Reflexion für die Neugierde danach zu suchen, sowie die Fähigkeit zu haben sich selbst in der eigenen Rolle zu beobachten und zu hinterfragen. Bevor aber das Konzept der Achtsamkeit als Lösung des Problems gepriesen werden kann, werden zunächst einmal die Limits von menschlicher (Selbst-)Wahrnehmung untersucht. Dazu wird vor allem die Arbeit von Daniel Kahnemann herangezogen.

Besonders hervorzuheben sind hierbei zwei Punkte:

• Erstens: Unsere Interpretation der Welt ist abhängig von vorheriger Erfahrung und Perspektive. Diese verzerren unsere Wahrnehmung beständig und es erfordert Mühe die Perspektive zu wechseln oder andere Perspektiven in unsere Weltsicht und Entscheidungen zu integrieren.

• Zweitens: Alles was wir als Menschen tun verbraucht Energie, egal ob Denken oder Handeln, ob Pflicht oder Vergnügen. Das limitiert unsere Wahrnehmung und unsere Aufmerksamkeitsausrichtung.

Diese beiden Punkte erschweren oder verunmöglichen sogar eine allumfassende Sicht. Damit ist eine Grundlage für die Verbesserung des moralischen Urteils ermittelt, die Perfektion ausschließt. Dies spielt eine große Rolle für die Werte Offenheit und Reflexion, da es ein beständiger Prozess sein muss, diese beiden Werte aufrechtzuerhalten.

Viele Fähigkeiten, die für Achtsamkeit notwendig sind, werden durch die sogenannten exekutiven Funktionen ermöglicht. Exekutive Funktionen bestehen vor allem aus inhibitorischer Kontrolle, Arbeitsgedächtnis und kognitiver Flexibilität. Diese ermöglichen Disziplin und Kreativität, sowie die grundlegende Fähigkeit mit den Informationen aus der Umwelt arbeiten zu können.

Es gibt verschiedene Achtsamkeitskonzepte, die versuchen diese zu verbessern. Bisher sind diese Ansätze allerdings sehr verstreut und verfolgen verschiedene Ziele. Allerdings ist zu erkennen, dass exekutive Fähigkeiten ein erfolgreiches Leben zuverlässiger voraussagt als der Intelligenzquotient (IQ). Außerdem hat die Arbeit mit Achtsamkeitsübungen den größten Effekt bei Menschen, deren exekutive Funktionen schwach ausgeprägt sind. Eine lebenslange Steigerung scheint möglich.

Um allerdings zu einer Kultur und einem Mindset der Offenheit und Reflexion zu kommen, muss eine Essenz aus diesen Methoden gewonnen werden und eine Integration in Bildung und Fortbildung sowie den Arbeitsalltag geschaffen werden. Eine nachhaltige Bildung muss sich also mehr auf diese Werte konzentrieren und sie mit multiperspektiven Ansätzen, also Transdisziplinarität verbinden, um auch eine Anwendbarkeit der Fähigkeiten zu erreichen.

Eine weitere Schwierigkeit scheint der Umgang mit statistischen Angaben zu sein – hier machen sogar professionelle Statistiker*innen zuweilen Fehler. Dabei ist aber vor allem wichtig, dass statistische Formeln oft irreführend sind oder verwendet werden, da sie intuitiv nicht interpretiert werden können. Achtsamkeitstraining könnte helfen, hier die Fehlerwahrscheinlichkeit zu verringern, wenn sie mit statistischem Wissen gepaart würde.

Bei alledem ist zu beachten: Fähigkeit ist nicht gleich Tätigkeit. Motivation war in der Arbeit soweit nicht enthalten. In der Kommunikation der Ergebnisse sollte aber sehr darauf geachtet werden, dass dieser Skill nur ein Meta-Skill ist und ohne Implementierung in andere Bereiche nicht seine volle Wirkung entfalten kann. Erst eine Motivation, das Wahrgenommene und Gewusste auch in die Tat umzusetzen, verändert die Welt auch tatsächlich. Dabei müssen marktwirtschaftliche Faktoren und politische Rahmenbedingungen stimmen. Sie sollten befähigen, ohne zu drängen. Die Spieltheorie sollte hier von einer Maximierung der Gewinne zu einer Maximierung der Balance umgedeutet werden. Mit einem ganzheitlichen Denken, sollte dies auch die logische Folge für ein ganzheitliches System sein.