Bachelorarbeit, Fachbereich Kulturwissenschaften, 62 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
In Reaktion auf die verstärkte Zuwanderung seit 2015 entstanden an zahlreichen deutschen Hochschulen Initiativen sowie Angebote und Programme, die Studieninteressierten mit Fluchterfahrung den Zugang zu Hochschulbildung erleichtern sollten. Meine Arbeit untersucht, wie sich die Aufnahme dieser Zielgruppe an den Hochschulen und im Speziellen an der Leuphana Universität Lüneburg gestaltet. Dabei habe ich den Blick auf (noch) bestehende Hürden für den Zugang zu Hochschulbildung gerichtet. Ausgegangen bin ich dabei von der Frage, ob ein studienvorbereitendes Programm wie das ‚Brückenstudium’ innerhalb der gegebenen rechtlichen, politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen seiner Zielsetzung, den Weg in ein Regelstudium zu ebnen, gerecht werden kann. Daran anschließend ging ich der Frage nach, inwiefern das „Experiment“ der institutionellen Öffnung der Universität für Geflüchtete auch ein Ausgangspunkt für weitere Demokratisierungsprozesse der Hochschulen - wenn nicht sogar der gesellschaftlichen Institutionen insgesamt - sein könnte. Wenn man die Bundesrepublik Deutschland als eine ‚postmigrantische Gesellschaft‘ (Foroutan, 2016 & Terkessidis, 2017) begreift, welche auf Einwanderung beruht und in der der Begriff der Integration von der Kopplung an das Migrantische gelöst wird, haben Fragen nach der Öffnung der Institutionen für eine plurale Gesellschaft eine besondere Relevanz.
Handlungsleitend für die Datenerhebung und -analyse war der methodische Ansatz der institutional ethnography nach Dorothy E. Smith. Dieser ermöglichte mir, das Forschungsfeld so zu konzipieren und zu untersuchen, dass die jeweiligen herrschenden Verhältnisse („ruling relations“), die eine Institution ausmachen, reproduzieren und verändern, herausgearbeitet werden konnten. Die Gesprächspartner*innen, mit denen ich qualitative Interviews führte, waren Vertreter*innen aus fünf beteiligten Akteursgruppen: Teilnehmende des ‚Brückenstudiums‘, Vertreter*innen einer studentischen Initiative, Verantwortliche vom International Office und der Präsidiumsabteilung der Universität sowie der Abteilung für Hochschulentwicklung des Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur.
Einer der zentralen Befunde der Arbeit ist die Beobachtung, dass zunächst das Engagement von Studierenden entscheidend für die institutionellen Transformationsprozesse war, die durch die Einrichtung des ‚Brückenstudiums‘ erfolgten. Das studentische Engagement mündete schließlich in dem hochschulweiten Bündnis ‚Hochschule ohne Grenzen‘, welches das ‚Brückenstudium‘ in Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen koordiniert. Darüber hinaus wurden wichtige Errungenschaften für die Integration von Geflüchteten an der Hochschule erarbeitet (Teilhabe am Universitätsalltag, Begleitungs- und Beratungsangebote sowie Zugang zu Sprachkursen und Lehrveranstaltungen), als auch bestehende Hürden identifiziert, die die Zulassung zu einem Regelstudium massiv erschweren und eine gleichberechtigte Teilhabe verhindern. Dabei handelt es sich einerseits um formale Hindernisse, die sich aus aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in Bezug auf die allgemeinen Regelungen des Hochschulzugangs ergeben, sowie durch die Zurechnung der Geflüchteten zu der Gruppe der ‚internationalen Studierenden‘. Andererseits haben sich auch die hohen sprachlichen Anforderungen als entscheidende Hürde für die (Wieder-)Aufnahme eines Studiums herausgestellt, die aus einem ‚monolingualen Habitus‘ (Gogolin, 1994) der Institution(en) resultieren.
Die Arbeit dokumentiert und erläutert, wie ein konkreter institutioneller Transformationsprozess verläuft. Ausgehend von diesem Fallbeispiel lässt sich argumentieren, dass die allgemeinen Regelungen der Zulassung zu tertiärer Bildung im Sinne einer Öffnung der Hochschulen in superdiversen und pluralen Gesellschaften neu verhandelt werden sollten. Für die Weiterentwicklung dieser Gesellschaften wird die Positionierung von Bildungseinrichtungen zu Fragen des Zugangs eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend wird dabei sein, ob die Teilhabe bestimmter Gruppen weiterhin nur in „Sonderprogrammen“ erreicht werden kann, die immer auch exkludierende Wirkungen mit sich bringen - oder ob finanzielle Mittel und Veränderungswille dazu genutzt werden, strukturell und nachhaltig zu mehr Bildungsgerechtigkeit beizutragen.