Sind die ‘Transitzonen für Flüchtlinge’ in Ungarn mit Völker- und Europarecht vereinbar?

Autor: Lebriez, Oliver
Jahr: 2017

Examensarbeit, Fachbereich Rechtswissenschaft, 59 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

Am 28. März 2017 trat in Ungarn die Gesetzesnovelle für „Asylverfahren an der Grenze“ in Kraft. Diese enthält Modifizierungen zur bestehenden Rechtslage in verschiedenen Gesetzen. Die Gesetzesnovellierungen werden in dieser Arbeit daraufhin untersucht, ob sie mit den rechtlichen Vorgaben auf europäischer Ebene und den völkerrechtlichen Verpflichtungen Ungarns im Einklang stehen. Das ungarische Recht, sowie dessen behördliche Anwendung, müssten mit den rechtlichen Verpflichtungen Ungarns aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Grundrechtecharta und aus dem europäischen Sekundärrecht vereinbar sein.

Die rechtlichen Neuregelungen hatten vor allem zwei Zielsetzungen: Einerseits den Zugang zum ungarischen Hoheitsgebiet zu beschränken andererseits die illegale Weiterreise in andere EU-Mitgliedsstaaten einzudämmen. Denn die ungarische Regierung wollte zu keinem Zeitpunkt, dass das Land Teil oder Endpunkt der Balkanroute wird. Dazu war die Regierung selbst mit radikalen Maßnahmen wie beispielsweise dem Bau eines Grenzzaunes zu Serbien oder gar der Rückführung Schutzsuchender aus dem ungarischen Hoheitsgebiet hinter letzteren entschlossen. Eine sich stets verschärfende Rhetorik der Regierung im Diskurs bezogen auf Migration, auch durch landesweite Plakatkampagnen unterstützt, untermalte diese politischen Bestrebungen. Offene Erstaufnahmeeinrichtungen wurden durch sogenannte Transitzonen an der serbischen Grenze ersetzt, in denen Menschen die Asylanträge in Ungarn stellen wollen, für die Dauer des gesamten Asylverfahrens verbleiben müssen. Einzig und allein in den Transitzonen dürfen Schutzsuchende Asylanträge stellen. Ungarn gewährt jedoch lediglich  zehn Personen pro Tag die Aufnahme in die Transitzonen. Die breite „de-facto“ Inhaftierung von Schutzsuchenden in den Transitzonen Ungarns, ohne Eröffnung von Haftgründen und ohne adäquate rechtliche Grundlage für diese entspricht keinen rechtsstaatlichen Anforderungen. Ein fehlendes Verfahren für die Ermittlung besonderer Schutzbedürftigkeit ankommender Personen offenbart die aktuell desaströsen Mängel des ungarischen Asylverfahrens. Des Weiteren wird die Einordnung Serbiens als sicheren Drittstaat mit den Voraussetzungen aus dem europäischen Recht überprüft. Die auf Grundlage dieses Konzepts schematisch abgelehnten Antragsteller, birgt nämlich oftmals die Gefahr einer Kettenabschiebung in Länder, in denen Ihnen eine unmenschliche Behandlung widerfahren kann.

Die vorliegende Arbeit zeichnet in ihrem ersten Teil zunächst die Lage in Ungarn im Sommer 2015 nach, um anschließend die ungarische Gesetzgebung als Folge des großen Zustroms Schutzsuchender, darzustellen. Anschließend wird der europäische rechtliche Rahmen für Transitzonen präsentiert und auf dessen Einhaltung in Ungarn überprüft. Im dritten Teil wird detailliert die Durchführung der Asylverfahren in den Transitzonen und die damit einhergehende Einschränkung der Freiheit der Schutzsuchenden auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden. Im Anschluss daran wird die Entscheidung der ungarischen Regierung, Serbien als „sicheren Drittstaat“ für Schutzsuchende anzuerkennen, auf ihre Vereinbarkeit mit den europarechtlichen und völkerrechtlichen Vorgaben untersucht. Auch wird in diesem Teil die Rückführungen von Personen ohne Aufenthaltstitel, welche von der Polizei im Hoheitsgebiet Ungarns aufgegriffen und bis vor den ungarischen Grenzzaun eskortiert werden, begutachtet. Es wird geprüft, ob die rechtlichen Ergänzungen im Bereich des ungarischen Staatsgrenzgesetz, die diese Maßnahmen ermöglichen, mit dem internationalen Recht im Einklang stehen. Abschließend werden im Fazit die aufgeworfenen Fragen reflektiert und resümiert.

Die intendierten Ziele der Kontrolle illegaler Migration, stellen sich im Ergebnis der Arbeit jedoch als Mittel zur Abschreckung Schutzsuchender heraus. Die erarbeiteten Defizite führen aber auch in die europäische Debatte um die künftige Gestalt des Gemeinschaftswesens, um das Verhältnis von Offenheit und Abschottung sowie um die Reichweite von Solidarität.