Doing Ethnicity in der Schule. Eine empirische Untersuchung zur (Re)Produktion von migrationsbezogenen Differenzen in Schulbüchern

Autor: Ionica, Iuliana
Jahr: 2019

Bachelorarbeit, Fachbereich Sozialwissenschaften, Medien und Sport, 32 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

In meiner Arbeit befasste ich mich mit dem Thema (Re)Produktion von migrationsbezogenen Differenzen in Schulbüchern. Ziel dieser Arbeit ist es zu untersuchen, inwieweit Schulbücher des Faches Sozialkunde Ethnizität relevant machen und dadurch zur (Re)Produktion von Differenzen beitragen.

Schulbücher fassen allgemeingültiges Wissen zusammen und geben es als objektive, allgemein akzeptierte Wirklichkeit wieder. Trotz ihres hohen Autoritätsgrades sind Schulbücher nichts Weiteres als der Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Diskurses, der sich durch seine Kontingenz auszeichnet, also durch seine zeitliche und räumliche Wandelbarkeit. Scheinbar objektives Wissen in Form von Texten, Bildern, Karikaturen, Grafiken, Statistiken, Zitaten sollte stets, am besten mit den Schülerinnen und Schülern zusammen, kritisch betrachtet werden. Dementsprechend sind Schulbücher unter die Lupe zu nehmen um bestehende Identitätsbildungs- und Differenzierungsmuster zu hinterfragen. Die zentralen Fragestellungen der Arbeit lauteten: Werden Migration und Ethnizität in den Schulbüchern relevant gemacht? Wie wird das Thema Migration aufbereitet, welche Aspekte werden wie dargestellt und welche ignoriert, welche Argumentationslogik, Symbolik, Implikationen und Anspielungen werden verwendet? Gerade in der politischen Bildung sind diese Fragen von großer Bedeutung, denn das Leitziel des Faches ist es, Schülerinnen und Schülern Kompetenzen zu vermitteln, die es ihnen ermöglichen über politisch und gesellschaftlich relevante Sachverhalte begründet und multi-perspektivisch urteilen zu können.

Deutschland ist längst ein Einwanderungsland geworden und die Kindergärten und Schulklassen sind Spiegelbild dieser Entwicklung. Dennoch wurde lange in Schulbüchern ein ganz anderes Bild vermittelt, das diese Realität nur langsam zur Kenntnis zu nehmen schien und Menschen mit Migrationshintergrund noch als „Fremde“ konstruiert und den „Deutschen“ gegenübergesetzt wurden.

Im Rahmen der Arbeit wurden drei Bücher des Faches Sozialkunde für die Oberstufe untersucht, die aktuell in Rheinland-Pfalz zugelassen sind und das Thema Migration in mindestens einem Kapitel behandeln. Aufgrund des begrenzenden Umfanges der empirischen Untersuchung können die Ergebnisse zwar nicht verallgemeinernd für alle aktuell zugelassenen Sozialkundebücher geltend gemacht werden. Dennoch haben sie einen qualitativen Mehrwert, denn sie fungieren wie vereinzelte Momentaufnahmen, die den aktuellen Zeitgeist im Hinblick auf Migration und Ethnizität im Schulbuch widerspiegeln.

Die empirische Arbeit kam zu sehr differenzierten Ergebnissen. Das Buch für einen Grundkurs Sozialkunde wies eine starke Tendenz auf, Ethnizität relevant zu macht. Die „türkische“ Frau mit ihrem „muslimischen Hintergrund“ stand im Fokus der Behandlung des Themas Migration. Viele Aspekte dieser Herangehensweise sind als problematisch zu bewerten. Erstens wurden viele weitere Aspekte von Migration nicht beleuchtet, eine differenzierte und heterogenitätsbewusste Betrachtungsweise wurde aufgeopfert, was unter dem Vorwand der didaktischen Reduktion oder des exemplarischen Lernens nicht zu rechtfertigen ist.

Anders verhielt es sich bei den beiden Büchern für den Leistungskurs. Die ethnische oder kulturelle „Andersartigkeit“ oder die „Fremden“ werden kaum zum Thema gemacht, vielmehr steht das allgemeinere Thema Migration im Vordergrund. Die Darstellung und die Argumentationslogik, aber auch die ausgewählten Überschriften, Tabellen sowie Karikaturen, zeugen bis auf wenige Ausnahmen von einem Versuch, die Thematik so sachlich und differenziert wie möglich zu behandeln.

Insgesamt kam die empirische Untersuchung zu dem Ergebnis, dass Migration nach wie vor ein hoch aktuelles und für den Sozialkundeunterricht relevantes Thema bleibt und entsprechend behandelt wird. Ethnizität auf der anderen Seite wird weniger relevant gemacht. Insgesamt zeigt sich, dass die Autorinnen und Autoren der neueren Ausgaben bemüht waren, einen sensiblen und differenzierten Umgang mit der Thematik anzubieten. Mit der Verankerung des Themas Migration in mehreren Unterrichtseinheiten wurde zwar ein Schritt in die Richtung getan, Migration differenziert und multiperspektivisch aufzurollen, damit einhergehend entstehen aber einige Problematiken. Es werden beispielsweise Phänomene wie Globalisierung, Klimawandel und Konflikte als Ursachen für Migration getrennt von dem Phänomen Migration in Deutschland behandelt, obwohl es starke Zusammenhänge gibt. Zudem führt die Fokussierung auf Migration in Deutschland oft dazu, dass die Perspektive der Mehrheitsgesellschaft in den Vordergrund gerückt wird.

Im Fazit der Arbeit vertrat ich die Position, dass das Thema Migration statt wie aktuell als eine der deutschen „Herausforderungen“ vielmehr als komplexes, globales Phänomen im Rahmen der Einheit zur „Internationalen Politik“ behandelt werden sollte. Auf diese Weise könnten deutsche, europäische und globale Zusammenhänge, historisch und im Zusammenhang mit der Globalisierung aufgezeigt werden. Die Schwerpunktsetzung würde sich verlagern von den ökonomischen, demografischen oder sozialen Interessen Deutschlands und Europas auf die komplexen Ursachen und Beweggründe für Migration, die nur im globalen Zusammenhang umfassend verstanden werden können. Dadurch würden tatsächlich eindeutige Schritte in die Richtung gemacht werden, Migration als Normalfall der Geschichte und Vielfalt als Normalität zu behandeln.