Bachelorarbeit, Fachbereich Soziale Arbeit, 106 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Wer heute heranwächst, erlebt seine Adoleszenz zweifelsohne in einer Zeit, die von massiven sozialen und ökologischen Problemen geprägt ist. Thematiken wie der Klimawandel, die Ausbeutung von Arbeiter*Innen im Globalen Süden oder Flüchtlingsströme sind allgegenwärtig. Jugendliche sind dabei nicht nur die Leidtragenden, die die Konsequenzen des Handelns früherer Generationen zu spüren bekommen. Vielmehr sind sie auch die AkteurInnen, die vor der Herausforderung stehen, Lösungen für die komplexen, globalen Probleme zu finden.
Neben der Omnipräsenz jener Krisen gilt der enorme Bedeutungszuwachs von Fernreisen als Phänomen, das die Lebenswelt junger, in Deutschland lebender Menschen prägt. So stellen Reisen für rund 97 Prozent der jungen Deutschen eine Selbstverständlichkeit dar, ferner macht der Jugendtourismus bereits heute einen Fünftel des internationalen Reisemarktes aus (zit. BTW 2016, o.S;vgl. Weber 2008, S.2). Die beliebteste Reiseform stellt dabei das autonome Erkunden eines Landes – sogenanntes ,,Backpacking“ dar (vgl. DZHW 2017, S.3). Bei diesem zeichnet sich die Haltung ,,je weiter, desto besser“ ab: So gelten neben dem ,,Klassiker Australien“ Länder wie Thailand, Costa Rica, Peru und Marokko als populärste Destinationen (vgl. Blümm 2019, S.32). Damit stellen die Länder des Globalen Südens die favorisierten Reiseziele der jungen Tourist*Innen dar. Etliche Reiseblogs, Romane und Filme über das Rucksackreisen betonen den starken Lerngehalt jener Auslandsaufenthalte, welche gemäß den Aussagen der jungen Reisenden zur Erweiterung von persönlichem Horizont und Fähigkeiten dienen. Auch im pädagogischen Diskurs werden Reisen insbesondere bezüglich des Lernens über globale Zusammenhänge oftmals als wirkungsträchtige Bildungsmöglichkeit betrachtet (vgl. Nahrstedt 2002, S.65 f.).
Vor dem Hintergrund der unabdingbaren Notwendigkeit von nachhaltiger Entwicklung wirft die Verflechtung der beschriebenen Phänomene vielfältige Überlegungen auf: Wie verändern die Backpacker*Innen die Erde und wie verändern die Reisen die jungen Menschen? Auf dieser Basis ist es das Ziel dieser Arbeit, die Reisepraxis des Backpackings im Globalen Süden im Kontext der nachhaltigen Entwicklung zu verorten. Um eine möglichst ganzheitliche Perspektive zu erreichen, werden verschiedene Ebenen in den Blick genommen:
Einerseits wird im Rahmen der Chancen-Risiken-Analyse untersucht, welche Konsequenzen das Backpacking im Globalen Süden auf die nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Sozialen impliziert. Zudem werden die Bildungsmöglichkeiten, die die Backpackingreisen im Globalen Süden bezüglich des Aufbaus von sozial-ökologischen Haltungen und Verhaltensweisen bergen, analysiert. Die leitende Frage ist dabei, ob jene Auslandsaufenthalte eine Form des Globalen Lernens darstellen können. Schließlich werden jene Erkenntnisse in einem dritten Schritt als Grundlagen für die Konzeption eines Sensibilisierungsangebots für Backpacker*Innen genutzt, welches auf die Förderung der Nachhaltigkeit der Reisen sowie auf die volle Ausschöpfung der Bildungserfahrungen abzielt.
Da wenige Studien über die Zusammenhänge zwischen Backpacking, nachhaltiger Entwicklung und Globalem Lernen existieren, werden Erkenntnisse aus Tourismusforschung, Soziologie, Ethnologie, Pädagogik, Nachhaltigkeitswissenschaften, Umweltpsychologie u.a. herangezogen und zur Bearbeitung der Forschungsfrage miteinander verknüpft. Bestehendes Wissen wird miteinander in Verbindung gesetzt und vor dem Hintergrund der Nachhaltigen Entwicklung und des Globalen Lernens reflektiert. Dadurch wird die Thesis zu einer Analyse von explorativem Charakter, welche die bestehenden Forschungslücken zu schließen versucht.
Die Erkenntnisse der Arbeit sind schließlich so vielschichtig wie der Forschungsgegenstand selbst. Auf der Ebene der direkten Konsequenzen konnten zahlreiche positive wie auch negative Effekte der Reisepraxis für die Realisierung von nachhaltiger Entwicklung analysiert werden. So kann Backpackingtourismus im Globalen Süden zum Schaffen von Einkommen, zur Mitfinanzierung des Naturschutzes und zur Verbesserung der Infrastruktur beitragen und interkulturelle Begegnungen ermöglichen, welche bei Gelingen u.a. Fremdenfeindlichkeit zu verringern vermögen. Jenen Chancen stehen jedoch die zumeist enorm hohen Flugemissionen, die häufig mangelnde Bereitschaft der Backpacker*Innen zum Zahlen angemessener Preise, die oft prekären touristischen Arbeitsverhältnisse sowie die Tendenz zu respektlosem Verhalten gegenüber der lokalen Bevölkerung gegenüber. Von hoher Bedeutung ist die Erkenntnis, dass den Backpacker*Innen eine enorme Gestaltungsmöglichkeit hinsichtlich der nachhaltigen Ausrichtung ihrer Reisen zukommt.
Auch bezüglich der Bildungsmöglichkeiten des Globalen Lernens auf Rucksackreisen im Globalen Süden zeichneten sich Potentiale wie auch Risiken ab. Einerseits bieten die Auslandsaufenthalte vielfältige Gelegenheiten, um die emotionale Verbundenheit zur Bedeutung von Nachhaltigkeit zu stärken. Hierzu zählt u.a. das intensive Naturerleben, das Ausprobieren von reduziertem Besitz, das Wahrnehmen globaler ökologischer und sozialer Herausforderungen wie Armut oder der Müllproblematik sowie das Kennenlernen verschiedener Perspektiven, Religionen und Kulturen. Backpackingreisen bergen somit die Chance, die Perspektiven der jungen Reisenden um eine globale Komponente zu erweitern. Die lebhaften, häufig emotionalen Erfahrungen vermögen die persönliche Identifikation mit der Relevanz von Nachhaltiger Entwicklung zu festigen, was als notwendige Grundlage für den Aufbau von sozial-ökologischen Handlungen und Einstellungen betrachtet wird. In Anlehnung an das Konzept des ,,didaktischen Würfel des Globalen Lernens“ können die Backpackingreisen dazu dienen, die für die sozial-ökologische Transformation riskante Konzentration von Individuen auf den persönlichen Nahbereich zu verringern.
Jedoch offenbarte die Analyse auch Risiken hinsichtlich der Förderung von nachhaltigen Einstellungen und Verhaltensweisen. So reicht die ledigliche Wahrnehmung von Umweltproblematiken nicht zur Transformation des eigenen Handelns aus, vielmehr muss den Reisenden die diesbezügliche Bedeutung des eigenen Handelns bewusst sein. Des Weiteren ist Raum zur Reflexion von Nöten, um die konkreten Erlebnisse in den Kontext der Nachhaltigen Entwicklung zu abstrahieren und folglich von jenen Erkenntnissen eigene Handlungsweisen abzuleiten. Die Analyse von ethnologischen Studien wies mehrfach auf die Tendenz von Backpacker*Innen zur Verleugnung von globalen Zusammenhängen hinter den beobachteten Phänomenen hin. So schreiben diese in vielen Fällen die Verantwortung für soziale und ökologische Herausforderungen umfassend den Menschen im Globalen Süden zu. Jene Haltung ist dadurch zu begründen, dass die BackpackerInnen zwar die Auswirkungen jener Probleme wahrnehmen können. Die hinter diesen zugrundeliegenden Ursachen sind jedoch in vielen Fällen deutlich zu komplex und transnational verortet, weswegen sie nicht mit bloßem Auge erfasst werden können. Der Rückgriff auf einfache Erklärungen und Lösungswege ist daher als Reaktion auf zu diffizile Sachverhalte nicht selten.
Aus diesem Grund erweist es sich als sinnvoll, die Reiseerfahrungen durch ein pädagogisches Angebot mit Informationen und Reflexionsanregungen zu ergänzen. So kann den Risiken entgegengewirkt werden und die mannigfaltigen Chancen ausgeschöpft werden. Die Symbiose aus den Reiseerfahrungen und einer pädagogischen Begleitung, welche Informationen und Reflexionsanregungen bietet, können somit Bildungserfahrungen bereitstellen, welche dem Charakter des Globalen Lernens entsprechen und den Aufbau von nachhaltigen Lebensweisen zu fördern vermögen.