Masterarbeit, Fachbereich Erziehungswissenschaft, 103 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Am 12. April 2016 berichtete die Berliner Zeitung über Schüsse auf einen 42-jährigen Mann. Eine arabische Großfamilie beschuldigte ihn, einem Familienmitglied die Frau ausgespannt zu haben und reagierte mit Selbstjustiz. Besonders in deutschen Großstädten fällt immer wieder der Begriff der Paralleljustiz. Häufig haben Menschen mit Migrationsinterhintergrund kein Vertrauen in staatliche Institutionen, weil sie in ihrer Heimat von der Regierung unterdrückt wurden. Derartige Probleme sind auf eine gescheiterte Integration der ersten Einwanderergeneration zurückzuführen.
Die Frage, wie eine gute Integration gelingen kann, wurde im Zuge der Flüchtlingswelle in den vergangenen Jahren wieder brandaktuell. Betrachtet man die individuellen Biografien der Geflüchteten, erscheint ein standardisiertes Programm wenig zielführend. Mit Blick auf die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe scheinen zudem Konflikte vorprogrammiert.
Aufgrund der äußerst prekären Situation im Jahr 2016, dass viele Flüchtlinge mitunter Monate auf die Aufnahme in einen Integrationskurs warten mussten, formierten sich vielerorts ehrenamtlich geleitete Deutschkurse. Das Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit konzentriert sich auf die Frage, mit welchen Herausforderungen die (meist) ungelernten Ehrenamtlichen zu kämpfen haben und wie es im Vergleich dazu Integrationskursleitende mit einer vorangegangenen Zusatzausbildung ergeht.
Im ersten Teil der Arbeit werden die theoretischen Grundlagen erarbeitet. Im Licht des 2005 in Kraft getretenen Zuwanderungsgesetzes, das mit dem klaren Auftrag, sprachliche Kompetenz zu vermitteln, an die Erwachsenenbildung herantritt, wird zunächst das heutige Integrationsverständnis mit der Auffassung aus der Zeit der ersten Gastarbeiter in den 50er-Jahren verglichen und davon abgegrenzt. Während Integration damals in erster Linie Anpassung bedeutete, zielt sie heute auf eine interkulturelle Pädagogik ab: Dabei steht das gemeinsame Lernen von Deutschen und Migranten im Mittelpunkt, um Aufgeschlossenheit für andere Kulturen zu fördern.
Ehe der für die Arbeit zentrale Begriff der ‚Professionalität‘ definiert wird, richtet sich der Fokus auf die Rahmenbedingungen heutiger Integrationskurse. Wenngleich die Curricula sehr eng gehalten werden, sind Integrationskurse in Deutschland inhaltlich sehr breit aufgestellt. Von Fragen zu Arbeit und Beruf oder Essen und Trinken über die Betreuung und Erziehung von Kindern bis hin zur Realisierung von Gefühlen, werden verschiedene Themenbereiche angesprochen. In diesem Kontext stoßen Lehrende auf viele Widersprüche, die das differenztheoretische Verständnis von Professionalität aufgreift. Das Modell ist gekennzeichnet durch Widersprüche und Dilemmata auf drei Ebenen: auf der Handlungs- sowie der Wissensebene der Lehrenden und der Ebene der Beziehung zwischen Teilnehmenden und Lehrenden. Professionelles Handeln zeichnet sich dadurch aus, dass diese Widersprüche erkannt und reflektiert werden.
Die Forschung richtet sich bei Integrationskursen fast ausschließlich auf die Teilnehmenden. Den Lehrkräften wurde in den einschlägigen Publikationen bis dato kaum Beachtung geschenkt. In diese Forschungslücke möchte die vorliegende Arbeit hineinstoßen, was zu der oben bereits angedeuteten Fragestellung führt: „Inwiefern lassen sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten bei den Herausforderungen erkennen, mit denen sich Lehrkräfte von Integrationskursen konfrontiert sehen und solchen, die ehrenamtliche Kursleitende von Deutschkursen für Flüchtlinge wahrnehmen?“
Im Methodenteil der Arbeit wird die qualitative Inhaltsanalyse als Vorgehensweise genauso erörtert und reflektiert wie die Datenerhebung mittels problemzentrierter Interviews. Das Sampling umfasst in einem ersten Teil fünf ehrenamtliche Kursleitende von Deutschkursen für Flüchtlinge sowie fünf professionelle Lehrkräfte von Integrationskursen in einem zweiten Teil. Aus den Interviews mit den ehrenamtlichen Kursleitenden gehen fünf verschiedene Kategorien hervor: Neben den organisationalen Rahmenbedingungen und Strukturen (es ist oft sehr chaotisch; es gibt keine eindeutigen Ansprechpartner; Teilnehmende kommen nicht verbindlich), wurde die Heterogenität der Teilnehmenden häufig genannt (unterschiedliches Sprachniveau; unterschiedlicher Bildungs- und Lernstand; Analphabeten). Zudem wurden traumatisierende Belastungen (Lernhemmnisse; bestimmte Themen können nicht angesprochen werden; Fehlen im Unterricht), persönliche Involviertheit (Lehrende lassen die Schicksale nah an sich ran) sowie mangelnde Qualifikation (Überforderung der Lehrenden) angesprochen.
Aus den Interviews mit den professionellen Lehrkräften kristallisierten sich sieben Kategorien heraus: Außer den Punkten Heterogenität der TN, Traumatisierende Belastungen und mangelnde Qualifikation (trotz Ausbildung) wurden auch die organisationalen Rahmenbedingungen und Strukturen erneut genannt (wobei in diesem Fall eher die engen Vorgaben des BAMF sowie geringe Honorare angesprochen wurden). Zusätzlich dazu wurde die Kategorie des Professionellen Handelns gebildet, die der persönlichen Involviertheit der ehrenamtlichen Kursleitenden sehr ähnlich ist (es ist manchmal schwer, die Distanz zu halten und keine Vorurteile zu haben). Als ganz neue Kategorien wurden die Unterrichtsgestaltung (zu viel Inhalt in kurzer Zeit; Teilnehmende sind nicht an moderne Methoden gewöhnt) sowie interkulturelle Konflikte zwischen den Teilnehmenden und den Lehrkräften (Pünktlichkeit; Frau als Respektsperson) genannt.
In einem abschließenden Vergleich beider Kategoriensysteme wird zum einen deutlich, dass sich die Kategorien, selbst wenn sie sich bei beiden Gruppen gleich bilden lassen, inhaltlich doch unterscheiden (zum Beispiel bei den organisationalen Rahmenbedingungen). Zum anderen kommt klar zum Vorschein, dass die professionellen Integrationskursleitenden die Herausforderungen, die sich ihnen stellen, deutlich differenzierter wahrnehmen. Mit Blick auf die drei Ebenen des differenztheoretischen Professionalitätsmodells lässt sich festhalten, dass sie die Widersprüche, denen sie in ihrer Arbeit begegnen, erkennen und reflektieren und diese auch besser aushalten, was auf ihre professionelle Ausbildung zurückzuführen ist. Daran anknüpfend lässt sich folgern, dass ehrenamtliche Kurse Integrationskurse nicht ersetzen können, eine pädagogische Anleitung für Ehrenamtliche aber dennoch sinnvoll erscheint. Nicht, um das Ehrenamt zu professionalisieren, sondern, um zumindest zentrale Punkte der Sprachvermittlung ansprechen zu können, damit diejenigen, die keinerlei Erfahrung im pädagogischen Bereich haben, nicht mit den Herausforderungen alleingelassen werden und schließlich aufgrund von Überforderung ihr Ehrenamt aufgeben müssen.