Masterarbeit, Fachbereich Erziehungswissenschaften, 169 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Die globalen Herausforderungen unserer Zeit, allen voran der Klimawandel, erfordern einen grundlegenden Perspektivenwechsel sowie eine tiefgreifende Veränderung unserer bisherigen Verhaltensmuster im Sinne eines nachhaltigen Denkens und Handelns. Bereits 1992 wurde mit der auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung verabschiedeten Agenda 21 der Bildung eine Schlüsselrolle für die Umsetzung einer solchen nachhaltigen Entwicklung zugesprochen.(1) Die internationale Bildungsoffensive „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) soll seitdem zur Realisierung eines sozial-ökologischen Wandels beitragen und den Menschen zur aktiven, kreativen und verantwortungsvollen Gestaltung der Zukunft befähigen. Der Einbezug aller Gesellschaftsschichten, Visionsorientierung und proaktives Handeln sind nur einige der Grundsteine einer BNE.(2) Mit geeigneten Inhalten und Methoden verfolgt das Bildungskonzept das Ziel, nachhaltigkeitsrelevante Kompetenzen zu fördern, die von de Haan (3)unter dem Konzept der Gestaltungskompetenz zusammengefasst wurden.
Um den Erwerb von Gestaltungskompetenz zu ermöglichen, müssen Lehrende und Multiplikator*innen einer BNE über spezifische Lehrkompetenzen verfügen, die über die allgemeinen Kriterien für guten Unterricht hinausreichen. (4)Ihre Kompetenzentwicklung wird im Rahmen des Weltaktionsprogramms für BNE explizit gefordert.(5)
Zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung werden seit einigen Jahren verschiedene Projekte durchgeführt. Eines dieser Projekte ist „Klasse Klima – heißkalt erwischt“, das unter Kooperation der NAJU, der BUNDjugend und der Naturfreundejugend Deutschlands zur Förderung des Klimaschutzes an deutschen Schulen beitragen möchte. Unter diesem Ziel gestalten engagierte Jugendliche Bildungsangebote für die Klassenstufen 5 bis 10. Anhand von ansprechenden Methoden und Aktionstagen diskutieren die freiwilligen Multiplikator*innen gemeinsam mit den Schüler*innen über einen nachhaltigen Lebensstil, probieren diesen aktiv aus und regen zum kritischen Nachdenken an. Somit soll mit dem Projekt das Bewusstsein für Nachhaltigkeit geschärft und im besten Fall eine Verhaltensänderung der Schüler*innen erzielt werden.(6)
Im Rahmen dieses Forschungskontextes soll untersucht werden, welche Kompetenzen die Jugendlichen erwerben, die als freiwillige Multiplikator*innen im Projekt „Klasse Klima - heißkalt erwischt“ mitwirken. Die selbst beschriebenen Kompetenzzuwächse werden dabei mit dem Konzept der Gestaltungs-kompetenz und den BNE-Lehrkompetenzmodellen verglichen. Zudem werden Faktoren untersucht, die den Kompetenzerwerb im informellen Lernkontext des Engagements unterstützen bzw. hemmen.
Anhand einer Methodentriangulation aus qualitativen und quantitativen Forschungsmethoden wurde zuerst die Struktur der erworbenen Kompetenzen in Interviews mit fünf sehr aktiven Multiplikator*innen erfragt, wobei der Kompetenzbegriff in die Komponente Einstellungen und Werte, Wissen und Erfahrungen operationalisiert wurde. Aufbauend auf der Datenauswertung wurde anschließend ein Frage-bogen generiert, mit dem die Ausprägung und Relevanz der erworbenen Kompetenzen unter allen teilnehmenden Multiplikator*innen erfasst wurde. Mit einer Rücklaufquote von 40,2 % wurden die Daten abschließend statistisch ausgewertet.
Die Studienergebnisse lassen sich in sieben übergeordnete Kompetenzfacetten einordnen. Im Bereich der Einstellungen und Werte wurden die Jugendlichen durch die freiwillige Tätigkeit einerseits für das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung sensibilisiert. Sie denken nun häufiger über nachhaltigkeitsbezogene Themen nach und haben ihre eigenen Werte und Verhaltensweisen in Bezug auf Nachhaltigkeit reflektiert. Andererseits ist ihnen die Dringlichkeit eines Wandels bewusster geworden und sie wurden motiviert, stärker nachhaltig zu handeln. In Bezug auf die Kompetenzkomponente des Wissens haben die jungen Erwachsenen starke Zuwächse an pädagogisch-didaktischem Wissen und Methodenwissen berichtet. Sie wissen nun, wie sie Themen einer BNE in aktive und partizipativ angelegte Projekttage umzusetzen können. Nachhaltigkeitsbezogenes Wissen wurde dagegen nur in geringerem Ausmaß erworben. Trotzdem können leichte Zuwächse im Verständnis für globale Zusammenhänge und der Kenntnis über Handlungsalternativen verzeichnet werden. Hinsichtlich der Lernerfahrungen liegen die ausgeprägtesten Kompetenzgewinne im Bereich der konzeptionellen Planung und eigen-ständigen Durchführung der Projekttage sowie im Umgang mit Schüler*innen. Darunter wird sowohl die altersgerechte Aufbereitung von Informationen und Auswahl an Methoden verstanden als auch die Fähigkeit, eine angenehme Lernatmosphäre zu schaffen und die Schüler*innen zum Mitmachen zu motivieren. Mit geringeren Ausprägungen wurde die Lernerfahrung genannt, flexibel auf Planabweichungen einzugehen und mit Motivationsverlusten und anderen Störungen umzugehen.
In den selbstbeschriebenen Kompetenzgewinnen finden sich viele Teilkompetenzen der Gestaltungs-kompetenz wieder. Besonders die Fähigkeit zum vorausschauenden Denken, Empathiefähigkeit, die Fähigkeit sich selbst und andere zu motivieren, das kritische Reflektieren von Leitbildern sowie das eigenständige Handeln kann durch das freiwillige Engagement gefördert werden. Allerdings ist der Erwerb von Gestaltungskompetenz nicht zentral für das Lernen der Jugendlichen. In deutlich stärkerem Ausmaß wurden Lehrkompetenzen hinsichtlich der pädagogisch-didaktischen Vermittlung einer BNE erworben. Vor allem in der Darstellung der Auswirkung des eigenen Handels auf das Klima, im Auf-zeigen von nachhaltigen Verhaltensweisen für den Alltag sowie in der Förderung des gemeinschaftlichen Lernens und der wertorientierten Unterrichtsgestaltung haben die Multiplikator*innen deutliche Lerngewinne berichtet.
Der informelle Kontext im Projekt „Klasse Klima – heißkalt erwischt“ bietet folglich wertvolle Lernpotenziale für die Multiplikator*innen, wobei die erworbenen Lernerfahrungen vorrangig im Bereich des didaktischen Wissens und der pädagogischen Handlungskompetenzen liegen. Deutliche Kompetenz-gewinne werden ebenso im Bereich der Reflexion eigener Werte und Verhaltensweisen und der Bewusstwerdung der Dringlichkeit eines Wandels angegeben, die bei vielen Jugendlichen in einer gestärkten Motivation zum eigenen Handeln resultieren. Gleichzeitig bietet das freiwillige Engagement für BNE große Potenziale für die Persönlichkeitsentwicklung der jungen Menschen, die im Leitbild der nachhaltigen Entwicklung Orientierung erfahren und Wertebewusstsein gewinnen.
Insbesondere die Gestaltungsfreiheit und das selbstständige Ausprobieren von Methoden und Unterrichtsformen tragen zum Kompetenzerwerb bei. Ebenfalls lernförderlich sind das gemeinsame Handeln mit Gleichaltrigen, die Möglichkeit der Verantwortungsübernahme und die empfundene Bedeutsamkeit der Tätigkeit. Darüber hinaus ermöglicht das freiwillige Engagement wichtige Selbstwirksamkeitserfahrungen für die Jugendlichen, die durch die Bildungsangebote einen sichtbaren Beitrag zur Ausbreitung eines Nachhaltigkeitsbewusstseins leisten können. An diesem Fazit kann man anknüpfen und verstärkt attraktive Engagement-Möglichkeiten für junge Menschen schaffen, um sie aktiv in die Zukunftsgestaltung einzubinden und ihnen individuelle Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten.
Referenzen:
1 Vgl. UNCED (1992): Agenda 21. Rio de Janeiro. Online verfügbar unter www.un.org/ depts/german/conf /agenda21 /agenda_21.pdf.
2 Vgl. Michelsen & Fischer (2015): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Wiesbaden: Hessische Landeszentrale für politische Bildung.
3 Vgl. de Haan(2009): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Hintergründe, Legitimation und (neue) Kompetenzen. Hrsg. v. Transfer 21.
4 Vgl.Bertschy; Künzli & Lehmann (2013): Teachers’ Competencies for the Implementation of Educational Offers in the Field of Education for Sustainable Development. Sustainability, 5 (12). 5067–5080.;
Vgl. UNECE (2013): Empowering Educators for a sustainable future. Online verfügbar unter www.unece.org /fileadmin/ DAM/env/esd/ESD_Publications/Empowering_ Educators_for_a_Sustainable _Future_ ENG.pdf.
5 Vgl. Dt. UNESCO-Kommission (2014): UNESCO-Roadmap zur Umsetzung des Weltaktionsprogramms "Bildung für nachhaltige Entwicklung".
6 Vgl. www.klasse-klima.de