Entgrenzte Solidarität – Herausforderung für Bildung und Erziehung im Zeitalter der Globalisierung am Beispiel Globalen Lernens

Autor: Lang, Theresa
Jahr: 2016

Bachelorarbeit, Fachbereich Pädagogik, 52 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

„Wir leben nicht über unsere Verhältnisse, sondern über die Verhältnisse der anderen – und zugleich unter unseren Möglichkeiten zur Änderung der Verhältnisse.“ (Lessenich 2016, S. 196)
Unsere Welt ist geprägt durch ein Missverhältnis, in dem die Vorzüge entgrenzter Möglichkeiten das Handeln des einen Teils der Bevölkerung prägen, während das Leben des anderen überwiegend von der Kehrseite – nämlich den Folgen dieser globalen Ausweitungsprozesse – betroffen ist. Nicht zuletzt die Sachstandsberichte zu Entwicklungen und Konsequenzen des Klimawandels des Intergovernmental Panel on Climate Change der UN, der jährliche Oxfambericht oder auch die ganz alltäglichen Medienberichte machen dies immer wieder sichtbar. Das Wissen darüber, dass der momentane Lebensstil – insbesondere der der westlichen Gesellschaften – nur bedingt mit den globalen Herausforderungen vereinbar sein kann, ist somit durchaus in Politik und Gesellschaft vorhanden. Ungeachtet dessen ist das vorherrschende Handeln allerdings weiterhin an genau gegenteiligen Motiven ausgerichtet. Und so wird konsequent an einem Lebensstil festgehalten, der primär die eigene, kurzfristige Nutzenmaximierung in den Mittelpunkt stellt.

Auf vielen Ebenen wurde diese Divergenz bereits erkannt und angemahnt. Und auch pädagogisch wird gerade im Globalen Lernen versucht, globale Probleme und Zusammenhänge aufzubereiten und damit einen Beitrag zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu leisten. Wo muss hierbei aber angesetzt werden, wenn die nötigen Veränderungen scheinbar nicht am fehlenden Wissen scheitern, sondern eher daran, dass mit einer wachsenden räumlichen und zeitlichen Entfernung das Zuständigkeitsempfinden von Individuen und Gesellschaft sinkt? An dieser Stelle knüpft diese Arbeit an. Auf primär theoretisch-soziologischer Ebene zeigt sie auf, inwiefern das Konzept von Solidarität einerseits einen Erklärungsansatz für diese offenbare Grenzziehung bieten kann. Andererseits wird ebenso, vor dem Hintergrund ausgeweiteter Interaktionsräume, eine mögliche und nötige Anpassung von Solidarität diskutiert. Auf den gewonnenen Erkenntnissen bauen die anschließenden bildungstheoretischen und -praktischen Überlegungen auf. Das Anliegen besteht hierbei darin, darzustellen, wie insbesondere Globales Lernen zur Entwicklung solch einer global ausgerichteten Solidaritätsform beitragen kann und wie es letztendlich damit ermöglicht wird, die bestehende Kluft zwischen Wissen und Handeln zu schließen.

Am Anfang dieser Arbeit steht folglich zunächst eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Solidarität und dessen wesentlichen Merkmalen. Insbesondere die Betrachtung motivationaler Triebkräfte auf emotionaler und interessensbasierter Ebene, sowie deren Wirken in verschiedenen Formen solidarischen Handelns spielen dabei eine grundlegende Rolle für den weiteren Verlauf. Die traditionelle Bestimmung des Solidaritätskonzepts zeigt insbesondere dessen exklusive Prägung auf, weshalb der letzte Teil dieses Kapitels auch erste Ansätze einer möglichen Ausweitung, die zu einer „Solidarität unter Fremden“ (Brunkhorst 1997b, S. 340) auffordern, darstellen.

In Anbetracht heutiger Herausforderungen soll Solidarität darauffolgend genauer auf ihre Anpassungsfähigkeit hin geprüft werden. Dazu wird das insbesondere von Luhmann geprägte Konzept einer Weltgesellschaft herangezogen, welches später als Basis pädagogischer Folgerungen dient. Aufbauend auf eine begrifflich-theoretische Bestimmung von Weltgesellschaft werden anschließend deren Auswirkungen auf Kultur und Identität, sowie das Verhältnis von Globalem und Lokalem erschlossen. Somit wird eine Übersicht über das weltgesellschaftliche Verbindungsgefüge geschaffen, vor dessen Hintergrund anschließende Überlegungen einer global ausgerichteten Werteorientierung erfolgen können. Gleichzeitig ist hierbei kritisch zu erörtern, wo die Grenzen einer universellen Wertegemeinschaft liegen und inwiefern das Prinzip eines „differenzempfindlichen Universalismus“ (Habermas 1998, S. 128) als Orientierungsrahmen für den Entwurf einer weltbürgerlichen Solidarität dienen kann. Diese wird daran anschließend anhand vernunftbasierter und emotionaler Perspektiven diskutiert. Einerseits wird dabei eine Solidarität dargestellt, die der eigenen Betroffenheit, als Mitglied einer „Weltrisikogesellschaft“ (Beck 2007a, S. 79) entspringt. Andererseits wird demgegenüber die Rolle individueller Interessen innerhalb einer globalen Solidarität aus Fairness thematisiert. Daraus wird letztendlich ein Solidaritätskonzept erschlossen, welches über das Zusammenspiel von Vernunft und menschlicher Emotionalität in der sozialen Praxis handlungsrelevant werden kann.

Mithilfe des damit gesteckten Rahmens wird im nächsten Schritt auf die Rolle der Pädagogik eingegangen. Dazu werden zunächst die sich darstellenden Herausforderungen für Bildung und Erziehung betrachtet. Danach erfolgt eine Einführung in die Grundlagen des Globalen Lernens als eine pädagogische Antwort auf die sich darstellenden Veränderungen. Anhand dessen wird nun eine Vernetzung mit den zuvor erarbeiteten Solidaritätskonzepten ermöglicht. Dabei werden zwei mögliche Perspektiven unterschieden: Einmal wird auf die pädagogische Förderung einer ausgeweiteten Solidarität auf Basis einer überwiegend wissensbasierten Handlungsorientierung eingegangen. Umgekehrt zeigt sich jedoch ebenso anhand konkreter Bespiele, wie eine primär handlungspraktische Erfahrung als Ausgangspunkt einer ausgeweiteten Solidaritätsentwicklung dienen kann. Übereinstimmungen werden in beiden Herangehensweisen wiederum dahingehend gefunden, dass ihre Sinnhaftigkeit sich letztlich nur durch den notwendigen Zweiklang von emotional- sowie vernunftorientierter Lernerfahrungen erschließen lässt. Die Arbeit zeigt somit einerseits, dass die Exklusivität von Solidarität zur Erklärung der Kluft zwischen Wissen und Handeln herangezogen werden kann. Andererseits wird ebenso offensichtlich, dass die globalen Problemlagen eine Neuverortung und Entgrenzung von Solidarität nötig machen. Gerade globale Interaktions- und Kommunikationswege ermöglichen es dabei, nicht nur die Vernunft, sondern auch emotionale Faktoren von Solidarität anzusprechen. Insbesondere diesen Zweiklang motivationaler Triebkräfte gilt es in Bildungskonzepten entsprechend einzubeziehen, sowie eine sinnvolle Verknüpfung zwischen Wissen und Handeln zu schaffen. Das Globale Lernen bietet dazu bereits vielfältige Ansätze.

Weiterführend wäre zu diskutieren, inwiefern es nicht nur einer Anpassung an globale Strukturen bedarf, sondern auch Möglichkeiten einer Loslösung aus eben diesen zu integrieren wären. Ebenso legt die Nahbereichsorientierung von Solidarität, sowie die Verwobenheit von Lokalem und Globalem eine vermehrte Verzahnung von Globalem mit Regionalem Lernen, als Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Lebenswelt, nahe. Bisher sind dazu jedoch noch kaum Anstrengungen zu erkennen, eine weitere Auseinandersetzung wäre insofern nötig.