Färbergärten als Grundlage für die Konzeption eines interdisziplinären Hochschulprojekts zur Förderung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung

Autor: Ebel, Anke Elisabeth
Jahr: 2019

Masterarbeit, Fachbereich Sozial- und Kulturwissenschaften, 96 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

Färbergärten nach der Philosophie des international wirkenden Netzwerkes sevengardens bezeichnen ein Lernformat, bei dem die Lernenden über die manuelle Herstellung und Verarbeitung von Pflanzenfarbe an das Thema Nachhaltigkeit herangeführt werden. Das Besondere hieran ist, dass diese Heranführung im ersten Schritt weniger kognitiv, als vielmehr über einen künstlerisch-ästhetischen Zugang erfolgt. Auf diese Weise kommen die Lernenden schrittweise sowohl mit den Inhalten und Zusammenhängen der Nachhaltigkeitsdimensionen als auch mit wichtigen Kompetenzen für die Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung in Berührung und eignen sich diese in künstlerischen Selbstversuchen an. Das Format wurde mehrfach als kulturelles, informelles Bildungsangebot zur Förderung einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), u. a. von der UNESCO und der Universität der Vereinten Nationen, ausgezeichnet. Bisweilen findet es vor allem in Einrichtungen der Elementar- sowie der schulischen und außerschulischen Bildung Anwendung. Die Globale Agenda Bildung 2030 nimmt jedoch alle Bildungsbereiche und somit auch Hochschulen in die Pflicht, einen Beitrag zur Bildung für nachhaltige Entwicklung zu leisten. Bildung schließt dabei die Vermittlung ästhetischer, sozialer und praktischer Fähigkeiten zur Persönlichkeitsentwicklung ein. Sowohl die Hochschulrektoren-1 als auch die Kulturministerkonferenz2 unterstützen diesen Ansatz und motivieren auf diese Weise indirekt zu mehr Offenheit gegenüber stärker informell geprägten Lernansätzen. Das Ziel der vorliegenden Masterthesis ist es daher, zu untersuchen, ob sich das informelle Format der Färbergärten auch für den formalen Hochschulrahmen eignet, um dort BNE insbesondere in die Lehre einfließen zu lassen. Das Ziel mündet in der forschungsleitenden Fragestellung, ob das Lernformat ‚Färbergarten‘ aufgrund seiner zugewiesenen Eigenschaften als informelles, kulturelles Bildungsangebot geeignet ist, auf innovative Weise Ansätze einer BNE in der Hochschullehre zu integrieren.

Kern des Forschungsdesigns ist eine qualitative Erhebung in Form von leitfadengestützten Experteninterviews mit einem Sampling aus Personen, die das Lernformat ‚Färbergarten‘ entweder bereits an Hochschulen eingesetzt bzw. es Studierenden außerhalb der Hochschule angeboten oder es in der informellen Erwachsenenbildung angewendet haben. Auf der Grundlage dieser explorativen, informatorischen Befragung werden bereits erprobte Formate rekonstruiert und dadurch Prozess- und Er-fahrungswissen der Expert*innen generiert, die das Aufstellen von Hypothesen in Bezug auf die forschungsleitende Fragestellung erlauben. Der Interviewleitfaden fußt auf dem theoretischen Bezugs-rahmen der Arbeit und gliedert sich in vier Teilbereiche:

  1. Zielsetzung und Ausgestaltung des Färbergarten-Lernformats der Expert*innen,
  2. darin enthaltene Bezüge zu den Inhalten und Teilkompetenzen einer BNE,
  3. darin enthaltene Einflüsse von kultureller bzw. ästhetischer Bildung sowie
  4. Maßnahmen und Erfahrungen der Expert*innen zur Relevanzsteigerung ihrer Färbergarten-Lernformate im Mindset der Zielgruppe.

Die Auswertung der Interviews erfolgt über eine qualitative Inhaltsanalyse, mithilfe eines induktiv hergeleiteten Kategoriensystems. Sie lässt u. a. folgende Rückschlüsse auf zu berücksichtigende Einflussfaktoren bei der Konzeption und Umsetzung eines Färbergarten-Lernformates in der Hochschulbildung für nachhaltige Entwicklung zu – thematisch untergliedert in die o. g. Teilbereiche:

  1. Die Strukturen und Eigenschaften des Projektstudiums erscheinen als besonders geeignet, um das Lernformat organisatorisch und methodisch in die Hochschullehre einzubinden, ohne dass es seinen informellen Charakter einbüßt.
  2. Im Zuge eines fachbereichsübergreifenden Lernformates können BNE-nahe Themen sowie die Teilkompetenzen des BNE-Konzeptes besonders effektiv vermittelt werden. Die besondere Stärke des Lernformates liegt dabei in der Förderung des Erwerbs von Gestaltungskompetenz durch Interdisziplinarität, Partizipation und lebensnahe Bezüge bzw. eine hohe Praxisrelevanz.
  3. Eine Besonderheit des Lernformates ist der künstlerisch-ästhetische Zugang unter Bezugnahme auf ein erweitertes Kunstverständnis. Dies spiegelt sich insbesondere in der Wertschätzung des Kreationsprozesses und der Erfahrung von Natur-Wert wider. Hierfür bedarf es entsprechender Experimentier- und Forschungsräume.
  4. Die Suggestion eines Erlebens von Autonomie, Wirksamkeit und sozialer Eingebundenheit stärkt das Interesse bzw. die Akzeptanz des Lernformates seitens der Zielgruppe, den Studierenden. Ergänzend lassen sich durch eine dokumentarische Selbstreflexion oder Belege zur Transferfähigkeit auch Formen der Leistungsüberprüfung in das Format integrieren. Dies erlaubt eine Kreditierbarkeit und stärkt parallel die extrinsische Motivation zur Teilnahme.

Die voranstehenden Ergebnisse bilden den Rahmen für das Grobkonzept eines Färbergarten-Lernformates an Hochschulen. Der Aufbau dieses Formates als Modul knüpft an das Modell eines Prozesses zur Entwicklung innovativer BNE-Angebote der Universität Lüneburg3 an:

  1. (Projekt-) Ideen entwickeln: Bei der Herstellung und Verarbeitung von Pflanzenfarben wird das persönliche Kreativitätspotenzial der Studierenden angeregt und die Bedeutung von Natur-Wert und Nachhaltiger Entwicklung vertieft.
  2. Inventionen ableiten: Zur realisierbaren Ausarbeitung der studentischen Projektideen zum Thema Pflanzenfarbe erfolgt ein Wissens- und Kompetenzaustausch in der Gruppe. Ggf. wird dieser Kreis transdisziplinär erweitert um Akteur*innen außerhalb der Hochschule.
  3. Transfer in die Praxis: Die Studierenden erfahren in besonderem Maße an Selbstwirksamkeit, indem ihre inter- oder transdisziplinär entwickelten Inventionen Transformationsprozesse im Praxisfeld anstoßen.

Das skizzierte Modul bedarf folgender Rahmenbedingungen: Es sollte als Langzeitseminar ein Semester lang in Form eines Projektstudiums interdisziplinär (fachsemester- und fachbereichsübergreifend) angeboten werden und eine gleichgewichtige Methodenvielfalt anwenden, im Sinne kognitiver, ästhetischer und handlungsbezogener Zugänge zu Themen und Dimensionen der Nachhaltigkeit. Es lässt sich abschließend resümieren, dass das Modell der Färbergärten als Lernobjekt, gepaart mit dem Format des Projektstudiums, als geeignet erscheint, den Anforderungen und Zielen einer BNE im Hochschulkontext gerecht zu werden. Offen bleibt, inwieweit durch ein solches Bildungsangebot tatsächlich Einfluss auf Denk- und Handlungsweisen der Studierenden in Bezug auf eine ressourcenverantwortliche Lebensweise genommen werden kann. Dies gilt es in weiteren – mitunter quantitativen – Studien im Rahmen von entsprechenden Pilotprojekten zu evaluieren.

 

Literaturverweise:

1 Alt, P.-A. (2019). SDG 12: Für eine Kultur der Nachhaltigkeit an Hochschulen. Rundbrief Bildungsauftrag Nord-Süd, (99), 1–2. Zugriff am 22.07.2019. Verfügbar unter https://www.wusgermany.de/sites/wusgermany.de/files/content/files/4.02_wus_rb_99_19_screen.pdf

2 Kultusministerkonferenz (Hrsg.). (2019). Erklärung der Kultusministerkonferenz vom 17.10.2019 zum nachhaltigen Entwicklungsziel 4 der Vereinten Nationen und zur globalen Agenda Bildung 2030. Berlin. Zugriff am 21.11.2019. Verfügbar unter https://www.unesco.de/sites/default/files/2019-10/KMK-Erkl%C3%A4rung%20Education%202030.pdf

3 Fischer, D. & Nemnich, C. (2013). BINK als Bildungsinnovation aus Sicht der Bildungsforschung. In G. Michelsen & D. Fischer (Hrsg.), Nachhaltig konsumieren lernen. Ergebnisse aus dem Projekt BINK („Bildungsinstitutionen und nachhaltiger Konsum“) (Innovationen in den Hochschulen: Nachhaltige Entwicklung, Bd. 11, S. 243–263). Bad Homburg: VAS.