Masterarbeit, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften, 166 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Grundsätzlich herrscht in der deutschen Gesellschaft eine defizitäre Vorstellung von Migrantinnen, die sie als passive, hilfsbedürftige Frauen, als „Opfer“, „Unterdrückte“ oder „Traditionsbehaftete“ auffasst. Vor diesem Hintergrund ist ihre Partizipation an gesellschaftlichen Prozessen entweder undenkbar oder wird als familienzentrierte, kulturelle oder religiöse, aber gesellschaftlich wenig relevante Aktivität wahrgenommen und bleibt unsichtbar. Im Umkehrschluss werden Migrantinnen, die sich engagieren und sichtbar werden, als Ausnahme oder Sonderfall betrachtet. Die meisten Studien über Partizipation und Engagement in Deutschland – egal, ob mit oder ohne Bezug zu Migration – legen die Vermutung nahe, dass Migrantinnen sowohl im Vergleich zu Migranten als auch zu deutschen Frauen sich weniger politisch und sozial engagieren. Diese erfasste Unterrepräsentation wird jedoch selten auf die enge Definition des Partizipations- und Engagementsbegriffs, die nur konventionelle Formen fokussiert, auf fehlendes Gender-Mainstreaming in Migrantenselbstorganisationen, auf mangelnde interkulturelle Öffnung in deutschen Organisationen oder auf die Nicht-Wahrnehmung von Partizipation und Engagement in informellen Kontexten zurückgeführt.
Die wenigen Studien, die sich mit Formen der Partizipation und des Engagements von Migrantinnen beschäftigen, beschränken sich auf die Strukturen ihrer Organisationen bzw. auf das Engagement innerhalb dieser. Diese Untersuchungen erklären jedoch nicht, warum Partizipation und Engagement ausgerecht in einem bestimmten Bereich vollzogen werden und nicht in anderen. Genauso wenig wird etwas über die Umstände – oder genauer noch: die zeitlichen Ereignisabfolgen ausgesagt, die zur Partizipation und zum Engagement führen. In wenigen Worten: Partizipation und Engagement werden nicht in dem Prozess ihrer (biographischen) Entstehung und Entfaltung betrachtet. Dies stellt jedoch eine wichtige Voraussetzung für die Erforschung der Partizipation und des Engagements von Migrantinnen dar. Frauen, die in der Migration leben, bringen eine eigene Geschichte mit, die sie in mannigfaltiger Weise prägt und sich darüber hinaus gemäß ihren neuen Lebenswelten sowie neu erlebter Einflüsse, Anforderungen und Kontexte verändert. Engagierte Migrantinnen schöpfen ihre Kraft und Motivation aus persönlichen Angelegenheiten und Lebensereignissen, die in direktem Zusammenhang mit ihrer individuellen, privaten Geschichte stehen und die Art ihrer (Partizipations- und Engagement-)Entwicklung maßgeblich prägen. Partizipation und Engagement sowie die Art und Weise ihrer Entwicklung und Entfaltung werden folglich von der Erfahrung der Migration, vom kulturellen Hintergrund und der gegenwärtigen Lebenslage der Migrantinnen, aber auch von allen biographischen Erfahrungen und letzten Endes von der gesamten Lebensgeschichte mitbestimmt.