Bachelorarbeit, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, 80 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, ob deutsche Freiwilligendienstleistende in Namibia während ihres Einsatzes kolonial(-rassistische) Stereotype reproduzieren. Mit Hilfe von Perspektiven, Theorien und Methoden der Postkolonialen Theorie werden in Form einer Diskursanalyse 20 Rundbriefe und Blogeinträge deutscher Freiwilliger entsprechend untersucht. Könnte es sein, dass ausgerechnet Freiwillige, die sich für eine gerechtere Welt einsetzen wollen, aufgrund ihrer von kolonialen Diskursen geprägten Denk- und Wahrnehmungsmuster, (unbewusst) zur Verfestigung der Machtasymmetrien zwischen Nord und Süd beitragen? Zunächst wird der Leser durch ein ausführliches Theorie-Kapitel in die Thematik eingeführt. Hierbei werden insbesondere die Hauptpositionen postkolonialer Theorie – die Ansätze von Said, Spivak und Bhabha – erörtert und miteinander verglichen. Außerdem werden Autoren wie Ziai, Buckendahl und Sachs vorgestellt, die sich mit den Kontinuitäten zwischen dem kolonialen und entwicklungspolitischen Diskurs beschäftigen. Freiwilligendienste werden dabei im weiteren Sinne als entwicklungspolitische Projekte verstanden. Parallelen sind etwa, dass das Entwicklungsparadigma eurozentrisch ist, da 'Entwicklung' als unilinearer, universaler und zielgerichteter Prozess verstanden wird, an dessen Spitze sich der Globale Norden selbst verortet. Die 'Unterentwickelten' werden als ruckständig und Teil einer defizitären Kultur konstruiert, deren einzige Hoffnung die Adaption der westlichen Kultur (Produktivität, Modernität) darstellt. Der Globale Norden definiert sich also nach wie vor als die Norm und in Abgrenzung zum Globalen Suden, der somit zur defizitären Abweichung seiner selbst wird. Bei der später folgenden Analyse wird der Fokus auf Regelmäßigkeiten innerhalb des Materials gelegt, die als postkolonial ausgelegt werden können. Anhand der sich wiederholender Themen in den Rundbriefen und Blogeinträgen wird herausgearbeitet, wie die Freiwilligen sich selbst als Expert_innen und die 'Schwarzen' als vermeintlich unterlegen konstruieren und damit eine postkoloniale 'Zivilisationsmission' rechtfertigen. Die Analyse unterteilt sich in folgende Unterpunkte: Die Konstruktion der 'Anderen', das Abenteuer des 'wahren Afrikas', das Gegenbild der 'Schwarzen' – die Selbstpositionierung als Expert_in, die Verbreitung europäischer Wissenssysteme – Postkoloniale 'Zivilisationsmission', die Ausbeutung der 'Ressource Kind' und die Verharmlosung und kolonialer Sprachgebrauch. Die Analyse der Materialien liefert einen empirischen Beleg für die Aktualität postkolonialer Thesen. Innerhalb des deutschen Freiwilligendienstes lassen sich vielfache Kontinuitäten zum kolonialen Diskurs ausmachen. Obgleich die Kolonialgeschichte und ihre Nachwirkungen in den untersuchten Reiseberichten weitestgehend unerwähnt bleiben, sind die Denk- und Wahrnehmungsmuster der Freiwilligen von ihr geprägt. So konstruieren sich einige der Proband_innen selbst als überlegene Expert_innen, die den 'Anderen' bei ihrer 'Entwicklung' helfen. Die gegenwärtigen politischen und ökonomischen Verhältnisse, die als Folge von Kolonialismus einen hohen Beitrag für die unterlegene Position Namibias im globalen System leisten, werden nur an sehr wenigen Stellen des Materials benannt. Durch dieses Auslassen der Kolonialgeschichte wird die Verantwortung für die Verhältnisse im Globalen Suden ausschließlich bei den dort lebenden Menschen gesehen. Die Analyseergebnisse zeigen, dass deutsche Freiwillige in Namibia derzeit entgegen ihres Selbstverständnisses vielmehr an einer Zementierung der ungleichen Herrschaftsverhältnisse beteiligt sind. Es ist davon auszugehen, dass die Selbst- und Fremdbilder, die innerhalb der Reiseberichte artikuliert werden, das Afrikabild der Leser_innen prägen und zur Verfestigung dominanter (weißer) europäischer Wahrnehmung vom Globalen Süden beitragen. Wenn der deutsche Freiwilligendienst tatsächlich einen Beitrag dafür leisten will, dass der Suden nicht weiterhin ausgebeutet wird, müssen postkoloniale Perspektiven auf die Programme angewendet werden und eine anti-koloniale, sowie rassismus- und privilegienkritische Neuausrichtung der Dienste stattfinden. Diese Neuausrichtung sollte insbesondere die pädagogischen Begleitkonzepte der Entsendeorganisationen berühren. Bislang bieten nur wenige Entsendeorganisationen Workshops zu 'Critical Whiteness' oder Postkolonialismus an, wobei diese selbst dann eine untergeordnete Rolle in den Seminaren einnehmen. Es ist daher notwendig, dass staatlich geregelte Freiwilligenprogramme wie weltwärts ihre Richtlinien und Qualitätsanforderungen entsprechend korrigieren. Ferner sollten Service- und Beratungsinstitutionen wie QUIFD nur jene Entsendeorganisationen zertifizieren, die über ein privilegien- und kolonialkritisches Begleitkonzept verfügen.