Masterarbeit, Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit, 156 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
„Ich sitze noch und schaue wieder nach vorne an die weiße Wand. Der Film startet – er wird auf YouTube gezeigt, das heißt ich kann ihn mir später nochmal anschauen – und ich sehe die Aufschrift: ‚1 Tag als Freiwillige in Ghana‘. Es kommen Bilder von Kindern, die an einer Freiwilligen hängen, an ihren Händen und ihrem T-Shirt, ein Schulgebäude ohne Türen und Fenster aus Lehm, die Freiwillige beim Obstkauf auf einem Markt, die Freiwillige auf einem Moped“ (Beobachtungsprotokoll 2, 15, 1-6). Freiwilligenarbeit im Ausland bewegt sich im Spannungsfeld zwischen staatlichen Förderprogrammen und kostenpflichtigem Voluntarismus − kurzum zwischen formellen, gemeinwohlorientierten Programmen und erwerbswirtschaftlich angelegten kostenpflichtigen Angeboten (Bibisidis u.a. 2015: 109). Doch vor allem jene Angebote des Voluntarismus „boomen“ derzeit und sind bei jungen Menschen eine beliebte Variante den Übergang zwischen Schule, Beruf oder Studium sowie Elternhaus und Selbständigkeit zu gestalten (Mangold 2016). Wie am Beispiel des einleitenden Zitates, welches aus einem ethnografischen Protokoll meiner Forschung stammt, deutlich wird, scheinen vor allem Tätigkeiten mit Kindern in Kombination mit flexiblem Reisen in den Marketingstrategien der Anbieter hoch im Kurs zu liegen.
Die vorliegende Masterarbeit mit dem Titel „Soziale Freiwilligenarbeit im Ausland – Eine differenzkritische Ethnografie in Südostafrika. Die Konstruktion des Kindes“ beschäftigt sich mit Aspekten der Differenzherstellung im Interaktionshandeln im Rahmen jener Tätigkeiten. Grundlage dafür bietet eine 2015 von meiner Kommilitonin und mir durchgeführte Studie in Deutschland und Südostafrika. In dieser wurden neben Protokollen, welche die Besuche von Informationsabenden zur Vorbereitung solcher Auslandseinsätze und den Aufenthalt vor Ort in einer stationären Wohneinrichtung für Kinder dokumentierten, auch Werbematerial und Homepages von Anbietern jener Programme analysiert. Der Fokus meiner Masterarbeit liegt dabei auf Kindheitsbildern und Kindheitskonstruktionen, welche innerhalb dieser Settings hergestellt werden, da jene Angebote mit Kindern einen besonderen Reiz für die Freiwilligen darzustellen scheinen. Gleichzeitig werden diese Kategorien im Sinne einer Vorstellung von „Generationen“ in ihren Verschränkungen zu weiteren Differenzkategorisierungen betrachtet. So frage ich in meiner Masterarbeit nach der Bedeutung, die macht- und ungleichheitsrelevante Unterscheidungen entlang der Differenzlinien „Generation“, „Geschlecht“, „Ethnie“ und „Klasse“ – fortan Generation, gender, race und class – im Rahmen des Voluntarismus haben.
Die ersten Teile meiner Arbeit beschäftigen sich hinführend mit der Thematik des freiwilligen Engagements im In- und Ausland sowie dem Konstrukt des globalen Nordens und des globalen Südens, inklusive eines Abrisses der Kolonialgeschichte insbesondere Deutschlands und einer Kritik am Postkolonialismusbegriff. Außerdem hinführend gebe ich Einblicke in das sozialpädagogische Feld der stationären Kinder- und Jugendhilfe im In- und Ausland und problematisiere den sogenannten „Waisenhaus-Tourismus“ im globalen Süden. Ebenfalls führe ich in den theoretischen Ansatz des Doing Difference ein und leite über geschichtliche Betrachtungen von Kindheitskonstruktionen hin zu Kindheitsentwürfen im globalen Süden und den damit verbundenen Bildern von Kindheit in der Freiwilligenarbeit. Der Hauptteil meiner Masterarbeit setzt sich schließlich aus vier größeren Themenkomplexen zusammen und resultiert aus den Ergebnissen der ethnografischen Studie. Zunächst betrachte ich Objektivierungsvorgänge des Konstruktes Kindheit in allen Phasen der Bewerbung von Freiwilligenarbeit und in Interaktionen vor Ort. Danach gehe ich auf die beobachteten und protokollierten Interaktionen zwischen Freiwilligen und Kindern in Unterrichtssituationen – den Bildungsräumen – sowie auf Interaktionen besagter Akteur_innen in Pausen-, Essens- und Spielsituationen – den Freizeiträumen – ein. Abschließend betrachte ich Männlichkeits-, Weiblichkeits- und Kindheitskonstruktionen mit einem Blick auf die Schwarzen Menschen vor Ort und die weißen Freiwilligen. Zentral beleuchte ich demnach im Hauptteil meiner Arbeit Bildung mit einem Blick auf eine, wie bspw. von Foucault (1994) dargelegt, sich formierenden Gesellschaft via Erziehungs- und Bildungswesen zur Normalisierungsgesellschaft und der Etablierung des Normalen „als Zwangsprinzip im Unterricht zusammen mit der Einführung einer Standardisierten Erziehung“ (ebd.: 237) im globalen Setting des Aufeinandertreffens von weißen Freiwilligen mit Schwarzen Kindern in einem „Waisenheim“.
Abschließend trage ich in meiner Arbeit pointiert die wichtigsten Ergebnisse zusammen und werfe einen resümierenden Ausblick für die Soziale Arbeit. So erkenne ich eine Tendenz zur Ausblendung von gender und race, das Nicht-Wahrnehmen von Generation als machtherstellendes Instrumentarium in Gesellschaft, aber auch die Ausblendung des bzw. nicht hinreichende Auseinandersetzung mit class im System, was wiederum eine gelingende internationale, freiwillige Soziale Arbeit auf Augenhöhe verhindert. Die Forderung nach einer Auseinandersetzung hiermit möchte ich durch meine Arbeit auch gerne auf die professionelle Praxis Sozialer Arbeit mit zu Kindern Konstruierten, auch und insbesondere im transnationalen Kontext, übertragen. Durch das Machtgefälle in sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Situationen, können rassistische, sexistische etc. Praxen noch einmal verstärkt werden. Mit dieser Arbeit möchte ich im Kontext sozialarbeiterischer Praxis und transnationaler Begegnungen zu einem gelingenderem Miteinander und einer gleicheren Auseinandersetzung auf vielerlei Ebenen beitragen. „Entwicklungsforschung tendiert dazu, Subalternen nicht zuzuhören und postkoloniale Studien tendieren dazu, sich nicht darum zu kümmern, ob die Subalterne zu Essen hat“ (Sylvester 1999: 703).