Masterarbeit, Fachbereich Soziologie, 83 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
In der durch die sog. Flüchtlingskrise angestoßenen Debatte zum Umgang mit Flüchtlingen, wird das Thema Integration zum zentralen Scheidepunkt der politischen Entscheidungsträger. Was dabei nicht berücksichtigt wird, sind grundlegende Faktoren des Zusammentreffens von Flüchtlingen und Gesellschaft. Dementsprechend muss sichtbar gemacht werden, wie, wo und unter welchen Umständen Flüchtlinge auf Gesellschaft treffen. Auf diese Leerstelle legt die Studie ihren Finger und vermittelt bei der Bearbeitung eines empirischen Problems, wie die Integrationspraxis aussieht, in welcher Breite sich Schwierigkeiten bei dem dauerhaften Ortswechsel bei Flüchtlingen und Migranten auftuen und was es in der Praxis bereits für Strategien gibt, mit diesen umzugehen.
Die Arbeit wurde auf Anfrage eines diakonischen Unternehmens durchgeführt, das in einer deutschen Großstadt angesiedelt ist und dort mehrere Sozialdienststellen für Hilfesuchende unterschiedlicher Ausprägung unter sich zusammenfasst. Einen Kernbereich stellt dabei die Beratung und Betreuung von Menschen mit Migrationshintergrund dar. Genauer definiert fallen unter die Klienten geflüchtete und asylsuchende Menschen sowie Migranten mit Daueraufenthalt. Viele der in diesem Bereich tätigen Sozialarbeiter haben selbst Migrations- und zum Teil sogar Fluchthintergrund. Vor diesem Tatbestand drängt sich aus sozialwissenschaftlicher Perspektive die Forschungsfrage auf, wie sich der Migrationshintergrund des Sozialarbeiters auf seine Arbeitspraxis auswirkt? Welche Vorteile aber auch mögliche Schwierigkeiten bringt es mit sich, wenn sowohl der Migrationssozialberater als auch der Klient Migrationshintergrund haben und sich fallweise sogar eine gemeinsame Muttersprache und das Herkunftsland teilen? Auf Grundlage von dreizehn qualitativen Interviews, bei denen in erster Linie Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund befragt wurden, ist diese Frage eingehend behandelt werden. Um dabei eine mögliche Sonderstellung des Sozialarbeiters mit Migrationshintergrund herauszuarbeiten, wurde zudem die Funktion der Migrationssozialberatung an sich bestimmt. Das Forschungsvorhaben bietet schlussendlich, indem es die Sozialdienste der interkulturellen Beratung und Betreuung und damit die institutionelle Erstanlaufstelle für Probleme, die auf die Migration der Hilfesuchenden zurückzuführen sind, in den Fokus rückt, einen praxisorientierten Einblick in die Integrationshindernisse von Migranten und Flüchtlingen.
Die Interviews zeigen, dass die Funktion der Migrationssozialberatung darin besteht, Migranten bei Problemen zu helfen, die auf ihre Migration zurückzuführen sind und das macht, indem sie die Inklusionsverhältnisse der Migranten in die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft optimiert: Sie hilft bei rechtlichen Fragen, medizinischer Versorgung, Wohnungslosigkeit, Ausbildung und noch sehr viel mehr Themen, die die Breite der Problemlagen von Flüchtlingen und Migranten sichtbar machen.
Der Migrationshintergrund vieler Sozialarbeiter, die in der Migrationssozialberatung tätig sind, kann einige arbeitspraxisrelevante Vorteile mit sich bringen, fordert aber auch die Professionalität jener in besonderer Weise heraus.
Vor allem in Hinblick auf die Spracherfordernisse der interkulturellen Beratung und Betreuung sind die Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund unerlässlich. Ein weiterer Vorteil ist die Migrationserfahrung des Sozialarbeiters. Da er die erfolgreiche Überwindung, der an die Migration gekoppelten Probleme verkörpert, kann er eine motivierende Vorbildfunktion erfüllen. Da er sich zwischen den nationalen Identitäten befindet und sowohl die Probleme- und Lebenslagen der Klienten als auch die Ansprüche der lokalen Gesellschaftsbereiche kennt, kann er die durch die Migration hervorgebrachten Schwierigkeiten in praktisch bearbeitbare Probleme übersetzen.
Mit dem Migrationshintergrund sind andererseits jedoch auch besondere Herausforderungen an die Professionalität des Sozialarbeiters geknüpft: Die hohe Praktikabilität der gemeinsamen Sprache kann dazu führen, dass das Dolmetschen vom Klienten als primäre Aufgabe des Sozialarbeiters angesehen wird und die eigentlichen Tätigkeiten der Sozialen Arbeit ins Sekundäre gerückt werden. Zudem kann dem Sozialarbeiter mit Migrationshintergrund eine Zugehörigkeit von und zu dem Klienten unterstellt werden, mit der hohe Erwartungen verbunden sind. Werden diese Erwartungen enttäuscht, kann dem Sozialarbeiter die Zugehörigkeit vom Klienten abgesprochen werden. Der Vorwurf lautet dann, er sei zu ‚deutsch‘ geworden, um dazuzugehören. Der Klient kann auf diese Weise an die ‚landsmännische Solidarität‘ des Sozialarbeiters appellieren, um ein Maximum an migrationsberaterische und darüberhinausgehende Unterstützung zu erfahren. Hinzu kommt, dass der Schutz der Privatsphäre des Sozialarbeiters beim Klienten auf Unverständnis stoßen kann, wenn beide aus einer Region kommen, in der die Trennung zwischen Arbeitspraxis und Privatleben nicht in der hier geforderten Weise ausgeprägt ist. Das geht damit einher, dass zum Teil sehr private und heikle Fragen an den Sozialarbeiter gestellt werden, von denen seine ‚deutschen‘ Kollegen bewahrt bleiben.