Zivilgesellschaftliche Seenotrettung im Kontext der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik

Autor: Baaß, Hanna
Jahr: 2019

Bachelorarbeit, Fachbereich Soziologie, 77 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

Welche Zusammenhänge und Spannungsverhältnisse führen dazu, dass zivilgesellschaftliche Seenotrettungsorganisationen (Search and Rescue (SAR) NGOs) mit Flüchtenden an Bord auf dem Mittelmeer festsitzen und in keinen europäischen Hafen einlaufen dürfen? Antworten auf eine solche Frage finden sich durch die Betrachtung von Mechanismen und Strukturen des europäischen Grenzregimes.

Meine literaturbasierte Bachelorarbeit setzt sich mit der Thematik ‚Zivilgesellschaftliche Seenotrettung im Kontext der gegenwärtigen Flüchtlingspolitik‘ auseinander. Dazu werden Entwicklungen bezüglich der Situation von SAR NGOs auf dem Mittelmeer im Kontext des EU- Grenzregimes beleuchtet. Die Programmatik und Praxis des Phänomens der SAR NGOs wird als humanitäre Hilfe mit rechtspositivistischen Positionierungen definiert und als Reaktion auf die europäische Grenz- und Flüchtlingspolitik verortet. Moralische, rechtliche und politische Dilemmata bezüglich der Arbeit von SAR - NGOs werden aufgegriffen, um das konflikthafte Aushandlungsfeld der Akteur*Innen im EU- Grenzregime zu analysieren. Organisationen, die humanitäre Hilfe leisten, geraten dabei in den Konflikt mit dem Souveränitätsanspruch der involvierten Nationalstaaten. Zivilgesellschaftliche Seenotrettungsorganisationen befinden sich somit in einem Aushandlungsfeld zwischen internationalem Flüchtlingsschutz und der vorherrschenden Flüchtlingspolitik, die in restriktiven Praktiken des EU- Grenzregimes zum Ausdruck kommt.

Das Spannungsverhältnis zwischen normativen Prinzipien in Anlegung an die Menschenrechte einerseits und staatlichen Interessen in Form von Souveränitätsansprüchen andererseits wird hierbei zum zentralen Analysegegenstand. Mechanismen und Strukturen des europäischen Grenzregimes werden anhand der Betrachtung der europäischen Grenz- und Flüchtlingspolitik in den Blick genommen und die komplexen Hintergründe und Spannungen bezüglich des Grenz- und Flüchtlingsschutzes dargestellt. Betrachtet wird die gegenwärtige europäische Flüchtlingspolitik, die durch vielfältige Maßnahmen gekennzeichnet ist. Diese sind darauf ausgerichtet, die Zahl derjenigen Migrant*Innen zu begrenzen, die Europa auf legalem Weg erreichen können und damit in der Lage sind, sich auf die Bestimmungen des europäischen Flüchtlingsrechtes zu berufen. Unter anderem werden dabei Strategien der Exterritorialisierung und Externalisierung der europäischen Außengrenzen beleuchtet. Dabei werden Praktiken etabliert, die für die Lage der Menschen auf dem Mittelmeer und darüber hinaus folgenreich sind.

Im Kontext der Fluchtbewegungen über das (zentrale) Mittelmeer wird die rechtspluralistische Situation hinsichtlich der Seenotrettung aufgegriffen und bezüglich der involvierten Akteur*Innen und deren Interessen analysiert.

Dementsprechend wird ersichtlich, dass politische Auseinandersetzungen hinsichtlich des Umgangs mit (zivilgesellschaftlicher) Seenotrettung dazu führen, dass die Handlungsspielräume von SAR NGOs eingeschränkt werden. Diskutiert werden schließlich die Forderungen und das Selbstverständnis einer „radikalen Variante“ der Positionierung von flüchtlingssolidarischem Engagement bezüglich ihrer Plausibilität. Grundlage dieser Überlegungen stellt eine gesellschaftstheoretische Betrachtung von Migration und Flucht als soziale Phänomene dar, die im Kontext von globalen Macht- und Ungleichheitsverhältnissen und ökonomischer Globalisierung zu betrachten sind.