Zum Einfluss von Bildung auf innerstaatlichen Gewaltkonflikt. Eine vergleichende Untersuchung anhand der Beispiele Sri Lanka und Malaysia

Autor: Deinhardt, Lea Marie
Jahr: 2018

Bachelorarbeit, Fachbereich Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 80 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

Die Konfliktforschung sucht mit Nachdruck nach den Ursachen von Gewalt und Krieg sowie den Bedingungen von Frieden. Ethnisch motivierte, innerstaatliche Kriege stehen auf Grund ihres vermehrten Auftretens dabei zunehmend im Mittelpunkt. Klassischerweise liegt der Fokus bei der Ursachenerklärung auf unmittelbar nur schwer veränderbaren Faktoren ökonomischer und struktureller Art. Im Gegensatz dazu ist Bildung ein Faktor, der relativ leicht durch Politik beeinflusst werden kann. Sollte sich zeigen, dass Bildung einen Einfluss auf gewalttätige Konflikte hat, könnte dieses Wissen genutzt werden, um aktiv zur Konfliktprävention und nachhaltigen Entwicklung beizutragen. Die empirische Literatur konstatiert einen pazifizierenden Einfluss von Bildung. Es existieren jedoch Fälle, die diesem Befund wiedersprechen: In Sri Lanka beispielsweise war die Alphabetisierungsrate in der Zeit vor dem innerstaatlichen Krieg überdurchschnittlich hoch. Zentral ist folglich nicht nur das Wissen, dass Bildung einen Effekt hat, sondern ein Verständnis davon, welche Kausalmechanismen diesen Effekt hervorbringen. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der dringlichen Frage, wie Bildung Einfluss auf innerstaatliche Konflikte nehmen kann.

Die theoretischen Grundannahmen der Arbeit lauten wie folgt: Bildungsfaktoren nehmen durch Sozialisierungsprozesse Einfluss auf Menschen, im Laufe derer Ideen und Normen internalisiert werden, welche für ein Handeln als Konfliktakteur ausschlaggebend sein können (Hurrelmann et al 2015; Hummrich/ Kramer 2017). Aus Überlegungen zur Entstehung ethnischer innerstaatlicher Konflikte auf Grund von Polarisierung (Esteban/ Schneider 2008, Monalvo/ Reynal-Querol 2005) in Kombination mit „grievances“ und „opportunities“ (Gurr 2002, Østby 2008, Stewart 2000) leiten sich fünf Hypothesen zum Einfluss verschiedener Aspekte von Bildung ab. Es ist anzunehmen, dass (1) Segregation im Bildungssystem entlang von Gruppengrenzen, (2) diskriminierende Bildungsinhalte und (3) ein autoritäres Schulklima Polarisierung fördern und so die Konfliktwahrscheinlichkeit erhöhen. (4) Ungleicher Zugang zu Bildung zwischen Gruppen kann als motivationaler Anreiz das Auftreten gewaltsamer Konflikte begünstigen. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass (5) die Verfügbarkeit von Bildungsressourcen die Mobilisierung von Aufstandsbewegungen erleichtert. Die Hypothesen werden im Rahmen eines Most Similar Cases Designs systematisch anhand der Fälle Sri Lanka und Malaysia überprüft. Durch die starke Ähnlichkeit der Fälle hinsichtlich möglicher Drittvariablen sind sie gutgeeignet, um Bildungseinflüsse zu isolieren und deren Erklärungskraft zu untersuchen.

Die Befunde bestätigen einen Einfluss aller fünf unabhängigen Variablen an unterschiedlichen Stellen im Konfliktentstehungsprozess, wobei die Befunde für Hypothese 2 und Hypothese 5 besonders stark sind. Der erste entscheidende Unterschied zwischen Sri Lanka (Kriegsfall) und Malaysia (Friedensfall) ist, dass die Tamilen in sri-lankischen Schulbüchern als für die friedliche Existenz eines singhalesisch-buddhistischen Staates hinderliche Feinde konstruiert wurden. Die Existenz divergierender Curricula hat die Entwicklung zweier antagonistischer Nationalismen begünstigt. In Malaysia dominiert auch eine ethnisch-religiöse Gruppe, die der malaiischen Muslime, allerdings inkorporiert der Staats- und Bildungsethos Toleranz gegenüber anderen Gruppen. Verstärkt werden seit 1969 harmonische interethnische Beziehungen unter der Ratio des Staatsgehorsams und der Wahrung der aktuellen politischen Ordnung zur Erhaltung des Friedens gelehrt. Der Einfluss von Bildungsinhalten auf die Gesellschaftsstruktur sollte nicht unterschätzt werden (Hypothese 2). Valide aber weniger eindeutige Befunde gibt es zu den Hypothesen 1, 3 und 4. In beiden Fällen haben ein segregiertes Bildungssystem (Hypothese 1) sowie ein autoritäres Schulklima (Hypothese 3) zur Polarisierung der jeweiligen Gesellschaft beigetragen, indem sie wenig interethnische Beziehungen zulassen und intolerante Haltungen perpetuieren. In Malaysia ist die Segregation jedoch moderater ausgeprägt und von diversen Desegregationsversuchen gezeichnet. In beiden Fällen wurden in den 1970er Jahren Politiken eingeführt, welche ethnische Minderheitengruppen diskriminierten. Der ungleiche Zugang zu (tertiärer) Bildung (Hypothese 4) wurde in Sri Lanka von den Tamilen als unmittelbare „grievance“ wahrgenommen und zusätzlich durch die negativen ökonomischen Implikationen verstärkt. In Malaysia wurde die „grievance“ über ungleichen Bildungszugang unter der chinesischen und indischen Bevölkerung hingegen nicht potenziert, da es nicht zu starken ökonomischen Verlusten kam. Der zweite zentrale Unterschied zwischen Sri Lanka und Malaysia bezieht sich auf die durch Bildungsressourcen bereitgestellten Mobilisierungsmöglichkeiten (Hypothese 5). In Sri Lanka wurden universitäre Netzwerkstrukturen zur Mobilisierung gewalttätiger Widerstandsbewegungen genutzt, während der malaysische Staat dieses Mobilisierungspotential nach den ethnischen Aufständen von 1969 effektiv neutralisierte. Dies gelang durch die Auflösung von Organisationsstrukturen an Hochschulen sowie durch die diskursive Delegitimation studentischen politischen Engagements.

Auf Grund des begrenzten Umfangs des Forschungsvorhabens sollten die Ergebnisse mit Vorsicht behandelt werden; es ist von einer geringen Generalisierbarkeit auszugehen. Die durchdachte Fallauswahl und starke Theoriegebundenheit stützen jedoch die Annahme, dass Bildungseinflüsse auch in anderen Gesellschaften eine Rolle spielen. Eine empirische Prüfung für weitere Fälle wäre wünschenswert. Hinsichtlich des erhofften Beitrages der durchgeführten Forschung zu Konfliktpräventionsstrategien ergibt sich, dass Regierungen in heterogenen Gesellschaften nicht ausschließlich auf eine Bildungsexpansion setzten, sondern eine Bildungspolitik verfolgen sollten, die interethnisches Verständnis durch Desegregation, pluralistische Inhalte, ein offenes Schulklima und gleichberechtigten Bildungszugang ermöglicht. Nota bene: Ein inklusives Bildungssystem kann kohäsiv wirken und signifikant zur Erhaltung von Frieden beitragen. Es kann allerdings nicht alleiniger Vermittler des Friedens sein. Die bildungspolitischen Maßnahmen sollten daher in ein umfassendes Programm der Konfliktprävention auf allen gesellschaftlichen Ebenen eingebunden sein.