Pressemitteilung: Déjà-vu mit den Putschisten von 1980 – Forschung und Lehre in der Türkei vor dem Kollaps

(Wiesbaden, 22.07.2016) "Wie beim Militärputsch 1980, werden nun auf Veranlassung von Präsident Erdogan systematisch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende in der Türkei verfolgt, entlassen und vor Gericht angeklagt. Offenbar hat Staatspräsident Erdogan solch eine Angst vor der Freiheit von Lehre und Forschung, dass er diese abschaffen möchte“, so Dr. Kambiz Ghawami, Vorsitzender des World University Service (WUS) zu den Entwicklungen der letzten Tage in der Türkei.

„Es ist mehr als verwunderlich, dass ausgerechnet das Staatsoberhaupt der Republik Türkei den Artikel 27 der türkischen Verfassung missachtet und ohne Legitimität außer Kraft setzt in dem festgelegt ist ‚Jedermann hat das Recht, Wissenschaft und Kunst frei zu lernen und zu lehren, zu äußern, zu verbreiten und in diesen Bereichen jede Art von Forschung zu betreiben‘ “, so Dr. Ghawami.

Bereits seine öffentlichen Äußerungen Anfang 2016 zum Aufruf von über 2000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler „Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein“, in dem sie sich für ein Ende des türkischen Militäreinsatzes in den kurdisch geprägten Gebieten des Landes und für eine friedliche Lösung des Konflikts einsetzen, zeigten dass er sich jeglicher friedlicher Lösung der innenpolitischen Probleme entzieht und statt dessen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als „fünfte Kolonne“ der Terroristinnen und Terroristen und als Verräter tituliert.

Dass er, Recep Tayyip Erdoğan, ein gefälschtes Universitätsdiplom aus dem Jahre 1981 der Marmara-Universität als akademischen Grad angibt, laut türkischer Verfassung eine Grundvoraussetzung um für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren zu können, zeigt sein mangelndes Rechtsverständnis. Die Marmara Universität wurde erst 1982 gegründet. Der Dekan und der Rektor der Universität, die beide Urkunde unterschrieben haben sollen, nahmen ihre Tätigkeiten auch erst 1982 auf. Ein klarer Fall für die Staatsanwaltschaft in der Türkei, die aber untätig blieb und bleibt.
Sehr erfreulich ist, dass sowohl die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) als auch die Hochschulen in Deutschland sich klar gegen die Einschränkung der Autonomie und Freiheit von Lehre und Forschung in Türkei positioniert haben. „Ich bitte die Deutschen Hochschulen“, so Dr. Ghawami, „verfolgte türkische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierende gerade jetzt aufzunehmen, auch in Erinnerung an die zahlreichen Exilanten aus Deutschland während der Nazi-Zeit, die damals an den türkischen Universitäten Schutz und Aufnahme gefunden hatten, so z. B. der späteren Regierende Bürgermeister von Berlin Ernst Reuter, der Komponist Paul Hindemith oder der Finanzwissenschaftler Fritz Neumark.“

„Wir fordern die türkischen Behörden auf, damit aufzuhören, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Studierende unter Generalverdacht zu stellen und zu verfolgen, nur weil sie von ihrem Grundrecht der freien Meinungsäußerung gebrauch machen und sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit auf Artikel 27 der türkischen Verfassung berufen. Die Autonomie und Freiheit von Lehre und Forschung ist ein Grundpfeiler der internationalen Scientific Community, die von jeder Regierung zu respektieren ist“, so Dr. Ghawami abschließend.