Masterarbeit, Fachbereich Cultural Studies, 274 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
2015 zählte der UNHCR erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs mehr als 60 Millionen Flüchtlinge weltweit. Die Zahl flüchtender Menschen schlug sich auch in den Asylantragszahlen in Deutschland nieder, wo 2015 476.649 Erstanträge gestellt wurden. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Zuwachs um 135 %. Mit der Ankunft dieser hohen Zahl an Flüchtenden in einer relativ kurzen Zeit kamen viele Fragen und Herausforderungen hoch, die in Politik, Medien und Gesellschaft bis heute intensiv diskutiert werden. Eine zentrale Frage ist die nach einer gelingenden Integration der nun hier lebenden Menschen: Wie kann ihre Integration gelingen? Welche Hindernisse gibt es? Und was sollte getan werden?
Integration in den Arbeitsmarkt ist dabei auf mehreren Ebenen relevant: Aufgrund der großen Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland, die aktuell und künftig eine Beschäftigung suchen, ist die Thematik sowohl gesellschaftlich, politisch als auch volkswirtschaftlich von großer Tragweite. Allein von den 2015 in Deutschland angekommenen Flüchtlingen werden nach Schätzungen der Bundesagentur für Arbeit ca. 350.000 bis 400.000 Personen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Des Weiteren ist es auf individueller Ebene relevant, da eine Beschäftigung eine Person im besten Fall dazu befähigt ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, die im Herkunftsland verbliebene Familie zu unterstützen und soziale Kontakte sowie gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.
Die Arbeitsmarktintegration ist für Geflüchtete allerdings mit einigen Hürden verbunden. Mehrere Analysen haben zahlreiche Hemmnisse identifiziert wie z.B. noch nicht ausreichende Deutschkenntnisse, nicht anerkannte Abschlüsse, der hohe bürokratische Aufwand für Unternehmen und viele mehr.
In meiner Untersuchung wählte ich einen bislang nahezu einzigartigen Ansatz, indem ich in die Gemeinschaftsunterkünfte ging und asylsuchende und geflüchtete Personen selbst dazu befragte, welche Hemmnisse sie sehen und erleben und wie sie mit diesen umgehen. Was sind die Gründe dafür, dass auch gut ausgebildete und motivierte Personen z.T. Jahre brauchen, um eine Beschäftigung zu finden? Was hindert Personen, erste eigene Schritte zu gehen, Deutsch zu lernen und sich zu informieren? Die heterogene Auswahl meiner Interviewpartner ließ aufschlussreiche Erkenntnisse darüber zu, in welcher Situation sich geflüchtete Personen sehen und welche Maßnahmen sie unterstützen könnten.
Bei der Analyse der Daten kristallisierten sich zwei Gruppen heraus. Eine Gruppe zeichnete sich durch eine stark sich selbst adressierende Einstellung aus. Sie sahen sich selbst in der Verantwortung, um berufliche Ziele zu erreichen. So sagte ein Interviewpartner, auf sein Schicksal Bezug nehmend: „Ja, aber [so] ist das im Leben. Im Leben nie Stopp. Muss man wieder studieren, arbeiten.“. Personen dieser Gruppe sahen sich nicht nur verantwortlich, sondern auch fähig, etwas zu leisten und Herausforderungen zu meistern. Dabei nutzten sie Kontakte und verschiedene Unterstützungsangebote, ohne diesen die Verantwortung für Erfolg und Zielerreichung zu übertragen. Personen dieser Gruppe zeigten ein hohes und zielgerichtetes Aktivitätsniveau, das sich z.B. in bereits guten Sprachfähigkeiten und einem sehr hohen Wissensstand über Strukturen und Möglichkeiten in der Arbeitswelt in Deutschland äußerte. In der zweiten Gruppe war Resignation ein zentrales Element. Diese Personen nahmen sich nicht als handlungsfähige Akteure wahr, sondern definierten sich stark über ein Gefühl der Ohnmacht: „Ich kann nicht machen irgendwas. Warten.“. Angebote, um an Informationen, Wissen und Kontakte zu gelangen, waren nicht bekannt oder wurden nicht wahrgenommen. Ein Mantra des nichts tun Könnens verband die Menschen und zwang sie in eine Situation, die sie als nicht bewältigbar erlebten. Eine besondere Belastung stellte für nahezu alle Befragten das Asylverfahren dar. Hierbei belasteten vor allem die erlebte Ohnmacht, die Dauer des Verfahrens nicht beeinflussen zu können, die Unsicherheit über den Ausgang des Verfahrens sowie die Einschränkungen als Asylbewerber (keine freie Wohnortwahl, keine eigene Wohnung, Familiennachzug nicht möglich). Neben dieser Belastung nannten die Befragten die deutsche Sprache als Herausforderung, fehlendes Wissen und ein schwerer Zugang zu Informationen, ein fehlendes soziales Netzwerk sowie z.T. mangelhafte Mobilität. Eine weitere Herausforderung stellte für alle die Trennung zu Familienmitgliedern dar.
Die erhobenen Daten geben Hinweise darauf, welche Maßnahmen zur Erleichterung des Übergangs in eine Beschäftigung wirksam sein könnten. Durch den subjektwissenschaftlichen Zugang bieten diese Daten eine große lebensweltliche Nähe zu den Betroffenen, was die Effektivität von Maßnahmen deutlich erhöhen könnte. Neben des Ziels der erleichterten Arbeitsmarktintegration sollten die Maßnahmen die Bedingungen in den Lebenswelten Geflüchteter so verändern, dass sie befähigt werden, ihre Handlungsfähigkeit zu realisieren und ihre beruflichen Orientierungen zu verfolgen bzw. zu entwickeln.