Einstellungen zur Asylpolitik in Stuttgart Mehrebenenanalyse zum Einfluss des sozialen Kontexts auf individuelle Orientierungen

Autor: Poerschke, Björn
Jahr: 2017

Bachelorarbeit, Fachbereich Sozialwissenschaften, 70 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

Meine Abschlussarbeit widmete sich dem Sachverhalt der Einstellung zur Asylpolitik und deren Determinanten auf der Ebene des sozialen Kontexts. Zentraler Anhaltspunkt der Arbeit war die Frage, inwiefern Individuen von ihrem räumlich-sozialen Umfeld, in subjektiven Einstellungen beeinflusst werden. Also, ob eine Art mentaler Transfer, egal ob bewusst oder unterbewusst, zwischen eigener Umwelt und evidenten politischen Problemfeldern stattfindet. Außerdem ausschlaggebend war die stattfindende Diskussion zur Flüchtlingskrise und damit die Frage in welchen Umfeldern ein positives bzw. negatives Klima gegenüber Geflüchteten unter den Bewohnern herrscht. Daher sollte empirisch überprüft werden, ob der Allgemeinstandpunkt, das in deprivierten Stadtteilen individuelle Einstellungen gegenüber offener Asylpolitik aufgrund von Konkurrenz- und Bedrohungssituationen negativ seien, zutrifft oder nicht.

Den Rahmen der Arbeit bildet das Forschungsprojekt „Einstellungen zur Flüchtlingskrise in Stuttgart (EFIS)“, aus dem ein gleichnamiger Datensatz hervorging, der für die statistischen Analysen dieser Bachelorarbeit genutzt wurde.

Die bisherige Einstellungsforschung legt den Zusammenhang von affektiven, evaluativen und kognitiven Haltungen mit Policy-Einstellungen nahe (z.B. Sniderman et al. 1991, Roller 1994) ebenfalls wurden Zusammenhänge zwischen der vorherrschenden sozio-ökonomischen Situation bestimmter Makro-Einheiten wie Länder und Regionen und individuellen Einstellungen nachgewiesen (z.B. Facchini/Mayda 2008 u.v.m.). In den bisherigen Arbeiten wurden Einstellungen aber meist nur auf einer Ebene (entweder Individual oder Kontext) analysiert oder es werden nur einzelnen Dimensionen als Erklärungsfaktoren herangezogen (bspw. nur affektive und ideologische Haltungen oder nur soziodemographische Eigenschaften wie Bildung/Herkunft/etc.).

Um den Sachverhalt umfassender auszuwerten wurden zum einen die abhängige Variable „Ein-stellungen gegenüber der Asylpolitik“ und die unabhängige Variable „Sozialer Kontext des Stadtteils“ in ein theoretisches Modell eingebettet. Untersucht wurden verschiedene Dimensionen von Policies, die im Umfeld der Flüchtlingskrise stark politisch und gesellschaftlich debattiert wurden (bspw. Familiennachzug, Obergrenze für jährliche Zuwanderung). Als erklärender Faktor wurde die sozio-ökonomische Situation in den einzelnen Stadtteilen herangezogen. Dazu wurden einerseits Umfrage-Daten des besagten EFIS-Datensatzes verwendet (Einstellungen 2 zur Asylpolitik) und andererseits Daten des statistischen Amts der Stadt Stuttgart (sozio-ökonomischer Kontext der Stadtteile). Ausgewertet wurden die Variablen Einkommensindex, Arbeitslosenquote und SGBII-Quote (Bedürftigkeitsmaß der Bundesagentur für Arbeit). Zusätzlich zu diesen Kontextfaktoren wurden auch individuelle Orientierungen, welche in der Einstellungsforschung allgemein als ausschlaggebend getestet wurden, in Theorie und Auswertung ein-gebettet. Einerseits, um verzerrte Ergebnisse der Analyse zu vermeiden und andererseits, um Aussagen machen zu können, ob das soziale Umfeld oder bereits existierende persönliche Prä-dispositionen politische Einstellungen der Stuttgarter Bürger formen. Mit Orientierungen sind allgemeine Evaluationen der Befragten gegenüber Ausländern (affektiv), deren politische/ideologische Selbsteinschätzung (evaluativ) und deren persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten und deren Unterkünften (kognitiv) gemeint. Trotz des lokalen Bezugs auf die Population der Stadt Stuttgart und der entsprechenden Stichprobenziehung ist das theoretische Modell, das in der Abschlussarbeit konzeptualisiert wurde, auf andere Fälle übertragbar.

Diese Individual- und Kontext-Faktoren wurden in einem Regressions-Modell auf ihren Zusammenhang mit den Policy-Einstellungen geprüft. Dabei spielt die hierarchische Datenstruktur (Individual-Kontext) eine besondere Rolle. Wegen ihr war es möglich und erforderlich, die Regression in einem Mehrebenen-Modell durchführen. Die sozio-ökonomische Situation wird dabei ins Verhältnis gesetzt mit der aktuell stattfindenden Immigration und politischen Debatte, um Aussagen treffen zu können, ob der Zuzug von Flüchtlingen von den Bewohnern der Stadt-teile als eher positiv oder negativ wahrgenommen wird. Genauer, ob der Eindruck, der durch sozioökonomischen Situation im Stadtteil entsteht, dazu führen kann Einstellungen gegenüber Asyl-Policies zu beeinflussen.

Die Analyse ergab, dass die allgemeine Erklärungsleistung der Kontextebene zu gering ist, dass von einem Makroeffekt ausgegangen werden kann. Die untersuchten Individualmerkmale er-weisen sich z.T. als geeignet zur Varianzaufklärung von Asyl-Policy-Einstellungen. Hierbei fallen die stärksten Effekte den Persönlichkeitskategorien Affekt, Ideologie und Erfahrung zu. Fast alle ökonomischen und die meisten soziodemographischen Variablen bleiben komplett ohne Effekt. Der soziale Kontext bleibt weitestgehend bedeutungslos. Ebenfalls stellen sich ökonomische oder nutzenmaximierende Überlegungen in Verbindung mit Asylmaßnahmen nicht als relevant heraus. Damit konnten Hypothesen, die besagen, dass Individuen aufgrund von Konkurrenz Neuankömmlingen kritisch gegenüberstehen, verworfen werden. Es scheint eine Frage der individuellen politischen und affektiven Voreinstellung zu sein, ob die Befragten einer offenen Asylpolitik positiv oder negativ gegenüberstehen. Darüber hinaus spielen persönliche Erfahrungen mit Geflüchteten und Asylunterkünften in der Nachbarschaft eine Rolle.