Examensarbeit, Fachbereich Sport und Sportwissenschaft, 177 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Dass es nachhaltigen Veränderungen und Entwicklungen bedarf, ist spätestens seit den spürbaren Auswirkungen des Klimawandels und dem Ressourcenmangel ein Faktum. Dabei reicht es aber nicht mit dem Begriff der Nachhaltigkeit um sich zu werfen. Tatsächlich ist ein fundiertes Wissen über nachhaltige Entwicklungen (NE) nötig, um Menschen zu Verhaltensänderungen und Handlungen zu befähigen. NE zielt auf eine mehr oder weniger grundlegende Korrektur am bisherigen Modell industrieller Entwicklung und wirtschaftlichen Wachstums ab und kann auch als eine Änderung der Denkmuster und Blickwinkel bezeichnet werden. NE öffnet den Blick, indem Probleme eine mehrperspektivische Betrachtung und globale Orientierung erhalten. Im Vordergrund stehen die drei Dimensionen Soziales, Ökologie und Ökonomie. Grober (2013, S.263) betont, dass es um die Gestaltung einer neuen Balance zwischen Mensch und Natur, zwischen den Kulturen der Welt und den zwischenmenschlichen Beziehungen geht, bei der alle kreativen Kräfte der Menschheit mobilisiert werden müssen. Eine NE erfordert also vorrangig die Partizipation möglichst vieler Menschen mit Ideen und Visionen. Um diese Beteiligung zu erreichen und die Bevölkerung zu einem Hinterfragen, Reflektieren und Umdenken zu befähigen, bedarf es einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE). Gemeint ist eine Bildung, die Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln befähigt. „BNE ermöglicht es jedem Einzelnen, die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen.“ (BNE-Portal, 2007a)
Obwohl BNE als fächerübergreifende Leitperspektive inzwischen im baden-württembergischen Bildungsplan 2016 fest verankert ist, fehlt es an konkreten, fächerspezifischen Umsetzungskonzepten. Besonders das Fach Sport bietet mit seinem Spiel- und Bewegungspotenzial und den damit verbundenen leiblichen Handlungs- und Erfahrungsmöglichkeiten ideale und einzigartige Voraussetzungen für diesen Lernbereich. Aber aufgrund des fehlenden Theorieunterrichts im Fach Sport müssen die Themen fächerübergreifend oder fächerverbindend in Projekten Umsetzungsmöglichkeiten erhalten. Diese Arbeit hat es sich daher zur Aufgabe gemacht ein fächerübergreifendes Unterrichtskonzept für die gymnasiale Unterstufe für die Fächer Sport und Geographie zu entwickeln und zu evaluieren wie sich dieses für eine BNE eignet.
Einerseits lassen sich durch sportliche Aktivität neue Räume erschließen und ein Bezug zur Natur herstellen. Sich im Freien zu bewegen schafft eine unmittelbare Erfahrung, wodurch ein zentraler Ausgangspunkt für ökologische Bildung und Verhaltensbereitschaft entsteht. Aus diesem Grund nutzt das Unterrichtskonzept den Orientierungslauf als Mittel um das ökologische Thema „Unser Abfall“ zu behandeln. Andererseits sind motorische und kognitive Entwicklungen aufs engste miteinander verknüpft. So können sich die Schülerinnen und Schüler (SuS) „durch Bewegungshandlungen ein Lernthema erschließen, dabei etwas erkennen, erfahren, leibhaftig spüren und eventuell auch besser verstehen“. (Hildebrandt-Stramann 2017, S. 25) Das bedeutet die SuS erschließen sich ein Thema durch die Bewegung selbst. In dieser Art des Lernens enthüllt sich die Eignung des Sportunterrichts für eine BNE, denn das Lernen mit dem Körper macht den Sportunterricht im Vergleich zu anderen Fächern einzigartig. Im Fach Geographie ist NE selbst Unterrichtsgegenstand und bietet so eine Vielfalt von Themen für die BNE.
Die Unterrichtseinheit befasst sich inhaltlich mit drei Themenbereichen, die in den beiden Fächern Sport und Geographie ideale Anknüpfungspunkte finden und aus diesem Grund für diese Arbeit ausgewählt wurden: Orientierung mit Karte und Kompass, der Orientierungslauf und das BNE-Thema „Unser Abfall“. Es geht zunächst um die Frage, warum wir uns überhaupt mit dem Thema Müll beschäftigen sollten. Anhand von Bildkarten, die beim Orientierungslauf in der Halle benutzt werden, wird eine Hinführung zur Problematik geschaffen. Beim Orientierungslauf im Freien suchen die SuS in der nächsten Stunde Begriffe, die sie im Anschluss in eine Mülltrennungstabelle eintragen und reflektieren. In einem Mystery im Freigelände wird der Weg einer Plastiktüte spielerisch nachvollzogen und so die globalen Auswirkungen lokaler Handlungen deutlich. Danach widmet sich der Sportunterricht den sozialen, ökologischen und ökonomischen Auswirkungen von Plastikmüll, die in einem Rollenspiel anhand der Trendsport Plogging (Müll sammeln & Joggen) erarbeitet und reflektiert werden. Zum Abschluss wird der Nachhaltigkeitsbegriff thematisiert und Lösungsansätze zur Abfallproblematik entwickelt. Die SuS befassen sich mit dem Plogging, der Müllvermeidung und dem Upycycling. Um direkt Handlungsfähigkeiten bezüglich einer nachhaltigen Lebensweise im Alltag zu erwerben, stellen die SuS als Hausaufgabe ein Sportgerät aus Plastikmüll her, welches in der finalen Stunde ausprobiert werden kann.
In einer Evaluation mit angehenden Lehrkräften, BNE-Experten und Lehrkräften werden die Unterrichtseinheit als Möglichkeit für eine BNE, das methodische Vorgehen und die inhaltliche Struktur als sehr gelungen eingeschätzt. Besonders die Vermittlung von Kompetenzen einer BNE ist geglückt. Jedoch wird angeregt die Einheit zu entschlacken und den Bewegungsunterricht deutlicher akzentuieren, so dass durch den Sport selbst ein Zugang zur Müllproblematik gefunden wird und dieser nicht nur als Mittel zum Zweck dient. Plogging ist hier ein idealer Ansatzpunkt, der in der Arbeit nicht in vollem Maße ausgenutzt wurde. Die Trendsportart weckt Interesse, lässt sich mit aktuellen Entwicklungen wie den sozialen Medien verbinden und akzentuiert das Themenfeld „Abfall“ mehr im eigentlichen Sportraum. Beispielsweise könnte im Rahmen eines Projekts von den SuS selbstständig ein Plogging-Run an der Schule organisiert werden.
Die vorliegende Arbeit hat gezeigt, dass eine Umsetzung der BNE durch ein fächerübergreifendes Unterfangen großes Potenzial aufweist. Durch die unterschiedlichen Fächer lassen sich, sowohl praktisch als auch kognitiv, BNE-Inhalte vermitteln. Besonders wichtig ist dabei der Alltagsbezug der Inhalte. So können die SuS sich mit den Problemen identifizieren. Spielerisch, beispielsweise durch das Mystery, können auch globale Zusammenhänge erschlossen werden. Durch ein Rollenspiel lernen die SuS andere Perspektiven wahrzunehmen, diese zu reflektieren und dadurch ihre eigenen Verhaltensmuster zu hinterfragen. Gleichzeitig entwickeln sie Empathie für Andere. Indem ihnen nachhaltige Verhaltensweisen, wie das Upcyceln von Müll, aufgezeigt werden, erwerben sie Handlungskompetenzen und können so zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Im Idealfall erkennen die SuS die persönliche Mitverantwortung für Mensch und Umwelt und nehmen diese als Herausforderung an. Durch die Organisation eines Plogging-Runs erleben die SuS eine aktive Mitgestaltung und Partizipation in ihrer Gesellschaft. Sie gehen somit noch einen Schritt weiter und übertragen ihre eigene Handlungsfähigkeit auf ihre Mitmenschen. Auf diese Weise kann eine nachhaltige Entwicklung gelingen. Bezüglich des Sportunterrichts scheint es, trotz der Chancen durch körperliche Erfahrungsmöglichkeiten, schwierig, diese für die BNE zu nutzen. Im Bildungsplan des Fachs Sports sind die BNE-Leitlinien verhältnismäßig gering vertreten und der fehlende Theorieunterricht erschwert die Umsetzung. Daher ist ein fächerübergreifendes Unterfangen eine sinnvolle Möglichkeit, dennoch auch in diesem Fach BNE zu betreiben. Obwohl die Einheit für den alltäglichen Unterricht konzipiert wurde und durchaus umsetzbar ist, bleibt der Sport in diesem Unterrichtsvorhaben eher Mittel zum Zweck. Durch die Verbesserungsvorschläge, die in der Evaluation erarbeitet wurden, ließe sich das Müllthema jedoch noch mehr im Sportraum akzentuieren, wodurch das Lernen mit Bewegung zu einem Lernen durch Bewegung wird. So kann der Sportunterricht einen Beitrag zur „Mammutaufgabe“ unserer Generation leisten.