Chancengleichheit durch bürgerschaftlicher Engagement im Sinne der Sustainable Development Goals (SDG) – eine Erhebung zu Schulfördervereinen in Baden-Württemberg

Autor: Kluin, Michaela
Jahr: 2019

Masterarbeit, Fachbereich Sozialwissenschaften, 76 Seiten, dt.

Zusammenfassung:

Die jüngsten Ergebnisse der PISA-Studie zeigen, dass der Bildungserfolg in Deutschland deutlich mit dem sozioökonomischen Status eines Kindes verknüpft ist. Die Sustainable Development Goals (SDG), die 2015 von den Mitgliedsstaaten der UN verabschiedet wurden, fordern jedoch Chancengleichheit und definieren Bildung als ein Menschenrecht, das jedem zugänglich gemacht werden muss. Dabei fassen sie Bildung nicht nur als reine Wissensvermittlung auf, sondern als Entwicklung der gesamten Persönlichkeit. Konkret fordert Ziel 4 der SDG einen chancengerechten Zugang zu effektivem und relevantem Lernen, der unabhängig von der Herkunft oder einer möglichen Behinderung gegeben sein muss. Zur Umsetzung der 17 Nachhaltigkeitsziele bis zum Jahr 2030 haben sich neben Ländern des globalen Südens auch Industrienationen wie Deutschland verpflichtet.

Obwohl die Bundesregierung in der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie die Wichtigkeit bürgerschaftlichen Engagements für die Erreichung der SDG aufführt, werden gemeinnützige Organisationen in der Thematik um Chancengleichheit im Bildungsbereich selten bedacht. Dabei steigt deren Zahl und damit Einfluss seit den 1990er-Jahren deutlich an; es bildeten sich u.a. zahlreiche Fördervereine schulischer Einrichtungen.

Die vorliegende Arbeit befasst sich empirisch mit der Frage, welchen Einfluss Schulfördervereine auf die Herstellung von Chancengleichheit an Schulen haben. Um sich dem Begriff „Chancengleichheit“ zu nähern, wird die Theorie Pierre Bourdieus herangezogen. Dieser geht davon aus, dass die aktuelle Situation an deutschen Schulen Disparitäten aufrechterhalte, anstatt diese zu beseitigen. Die Arbeit untersucht dahingehend, inwieweit Bourdieus Theorie haltbar ist, sollte ein positiver Einfluss der Schulfördervereine erkennbar sein.

Im Rahmen der Arbeit werden die Transkripte von Leitfadeninterviews mit 13 Vorständen von Grundschulfördervereinen mithilfe der Qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass Schulfördervereine die Herstellung von Chancengleichheit an Schulen positiv beeinflussen können. Dies tun sie auf vielfältige Weise: Sie bieten die Möglichkeit, Kinder aufzufangen, die durch das Elternhaus Nachteile erfahren, und ihnen Teilhabe an schulischen Aktivitäten sowie Betreuungsangebote zu ermöglichen. Kinder werden in den Vereinsangeboten oder durch Finanzierung des Vereins gezielt gefördert und gefordert. Ihnen werden Werte und Einstellungen nahegebracht, die den Bildungsaufstieg erleichtern. Etwa durch Lese- und Sprachförderung oder Hilfestellung bei den Hausaufgaben fördern Schulfördervereine gezielt einzelne SchülerInnen und helfen ihnen, ihre Schwächen abzubauen. Im Bereich der finanziellen Förderung stehen vor allem Kinder im Fokus, die keine staatliche Unterstützung erhalten, sich aber dennoch in einer Bedarfslage befinden. Weiterhin kommen die Fördervereine der Forderung der SDG nach einer Bildung der gesamten Persönlichkeit nach: Neben der Wissensvermittlung sehen die Vorstände eine wichtige Aufgabe in der Stärkung des Selbstbewusstseins der SchülerInnen, der Förderung ihrer Kreativität sowie einer gesunden Ernährung. Die Vorstände verstehen die Schule als Lebensort und nicht als Lernort und bemühen sich, diesen für die Kinder angenehm zu gestalten. Bezogen auf Bourdieus Theorie zur „Illusion der Chancengleichheit“ ist festzustellen, dass Fördervereine den LehrerInnen die Möglichkeit bieten, sich für Chancengleichheit außerhalb des Unterrichts einzusetzen. Diese können als MultiplikatorInnen wichtige Stützen des Konzepts Förderverein sein und damit eine aktive Rolle bei der Herstellung von Chancengleichheit einnehmen. Davon separat zu betrachten ist das pädagogische Konzept, auf das Schulfördervereine grundsätzlich keinen Einfluss haben.

Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Schulfördervereine ein wichtiger Akteur in der Debatte um Chancengleichheit sind und Veränderungen an Schulen bewirken können. Sie setzen sich für das Menschenrecht auf Bildung ein und bieten SchülerInnen unabhängig von deren Herkunft, Beeinträchtigungen oder sozioökonomischem Status die Möglichkeit zur Teilhabe an der Gesellschaft. Dahingehend sollten bildungspolitische VertreterInnen den Diskurs mit ihnen suchen, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten.