Examensarbeit, Fachbereich Rechtswissenschaft, 59 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
In meiner Wissenschaftlichen Hausarbeit im Schwerpunktbereich „Familie, Soziales, Lebenslagen“, beschäftige ich mich mit den in Deutschland im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelten Sozialleistungen für bedürftige AsylbewerberInnen und kurz- oder langfristig geduldete Personen ohne sicheren Aufenthaltsstatus. Grundsätzlich stelle ich fest, dass sich die Leistungen nach dem AsylbLG für Lebensunterhalt, Unterkunft, Gesundheit, Körperpflege und Bildung von den wesentlich höheren Leistungen für deutsche Staatsangehörige, EU-BürgerInnen und Personen mit anderen Aufenthaltstiteln nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II) unterscheiden. Dabei kritisiere ich insbesondere, dass die Sanktionen, also die im AsylbLG vorgesehenen Leistungskürzungen, dazu führen, dass das vom Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil als menschenwürdiges Existenzminimum festgelegte Leistungsniveau, das dem des SGB II entspricht, unterschritten wird. Dieses ergibt sich aus dem Sozialstaatsprinzip in Verbindung mit der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes, die für alle Menschen, unabhängig vom migrationsrechtlichen Status oder ihrer Staatsangehörigkeit sichergestellt werden muss. Dieses darf laut Bundesverfassungsgericht nicht migrationspolitisch relativiert werden.
Das Grundrecht auf dieses Existenzminimum garantiert nicht nur die Absicherung der physischen Grundbedürfnisse, sondern ein soziokultureller Anteil muss auch für die Teilhabe aller Personen am sozialen Leben in der Gesellschaft sowie die Chancengleichheit bezüglich des Zugangs zu Bildungseinrichtungen gewährleistet werden. Dies ist bei der Leistungseinschränkung durch Sanktionen nicht mehr sichergestellt. Entfällt dieser Anteil wie bei manchen Sanktionsmöglichkeiten vorgesehen komplett, ist dies nicht mehr durch andere politische Ziele, die mit den Sanktionen verfolgt werden, zu rechtfertigen.
Anders als im SGB II wird hier durch die möglichen Sanktionen zusätzlich nicht nur daran angeknüpft, dass die Personen Mitwirkungspflichten verletzen, um ihre eigene Hilfebedürftigkeit aus eigener Kraft zu überwinden, sondern daran, dass diese sich in aufenthalts- oder asylrechtlich unerwünschter Weise verhalten. Beispielweise werden Personen von den Sozialleistungsträgern dann sanktioniert, wenn sie zuvor in einem anderen EU-Staat aufhältig waren und nun in Deutschland Asyl beantragen oder wenn Geflüchtete sich weigern, Kontakt zu ihrer Botschaft aufzunehmen (selbst, wenn sie sich dadurch in Gefahr bringen würden), um für eine Abschiebung in einen angeblich sicheren Drittstaat nötige Papiere zu besorgen. Ein anderes Beispiel ist, wenn gewisse Integrationsverpflichtungen, deren Tauglichkeit sehr umstritten ist, nicht eingehalten werden. Außerdem werden Personen sanktioniert, die sich einer Ausreise in einen angeblich sicheren Drittstaat widersetzen.
Insgesamt arbeite ich heraus, dass das Anknüpfen von dauerhaften Sanktionen und einem Leben unter dem menschenwürdigen Existenzminimum an ein einmaliges oder andauerndes aufenthaltsrechtliches Fehlverhalten unverhältnismäßig ist und gegen das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verstößt. Insoweit ist auch die Schlechterstellung gegenüber Personen, die dem SGB II unterliegen und von diesen Sanktionen nicht erfasst werden können, problematisch. Die Bindung von Leistungskürzungen in diesem Bereich an aufenthaltsrechtlichen Pflichten, die oft nur die gerade aktuell vorherrschende politische (Un)erwünschtheit von Zuwanderung abbilden, stellen eine unzulässige migrationspolitische Relativierung des Grundrechts dar.
Ebenfalls ist es kritikwürdig, dass Kinder in einigen Fällen durch die Leistungskürzungen für die Familie für ein Fehlverhalten der Eltern, wenn auch mittelbar, mithaften. Grundsätzlich kritisiere ich, dass es menschenunwürdig ist, die Versorgung mit dem Lebensnotwendigen als migrationspolitisches Druckmittel zu nutzen, um insbesondere auch geflüchtete Personen von der Einreise nach Deutschland abzuschrecken. Das Sozialrecht sollte nicht missbraucht werden, um Einfluss auf globale Fluchtbewegungen auszuüben, insbesondere, da die betroffenen Personen nicht freiwillig migrieren und gerade Kinder und Familien besonders vulnerabel sind.
Besonders problematisch ist auch die Situation von dauerhaft lediglich geduldeten Personen, die lediglich einmalig eine Mitwirkungspflicht verletzt haben und dadurch dauerhaft Sanktionen ausgesetzt sind. Kinder, die wegen ihrer Eltern bereits in dieser Situation aufwachsen, haben wesentlich geringere Chancen, sich in der Gesellschaft zu integrieren, da sie zusätzlich zu der ständigen Angst vor einer Abschiebung auch von finanziellen Einschränkungen betroffen sind. Auch andere Personen, bei denen insbesondere der soziokulturelle Anteil des Existenzminimums von Sanktionen betroffen ist, haben es sehr viel schwerer, sich zu integrieren. Somit wirken die Sanktionen dem Ziel der Integration oft eher entgegen, als dass sie diese fördern.
Alles in einem fordere ich aufgrund der oben andiskutierten Punkte eine Neuregelung der Sozialleistungen für die betroffenen Personen und deren Eingliederung in das allgemeine soziale Sicherungssystem. Gleichheit und ein Leben ohne Armut dürfen nicht dem migrationspolitischen Ziel, eine Einwanderung hilfsbedürftiger Menschen einzuschränken, untergeordnet werden.