Masterarbeit, Fachbereich Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, 139 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Als Quelle zukunftsfähiger Entwicklung gewinnen in den aktuellen Diskursen und Praktiken der „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) zunehmend Formen zivilgesellschaftlichen Engagements und informellen Lernens an Bedeutung. Daran anknüpfend widmet sich die vorliegende Arbeit den damit verbundenen Lernpotentialen für eine nachhaltige Entwicklung aus einer räumlichen Perspektive. Anlässlich des weltweiten Urbanisierungstrends und den damit einhergehenden globalen Herausforderungen steht mit essbaren Städten ein alternatives Stadtentwicklungskonzept als Lernort im Fokus des angestrebten Erkenntnisgewinns. Dieser legitimiert sich nicht zuletzt auch durch deutliche Forschungsbedarfe und Schnittmengen bei essbaren Städten und der BNE.
Unter Einbezug eines kritisch differenzierten Blicks auf derzeitige Stränge innerhalb der BNE und avancierender Bezüge zum transformativen Lernen werden essbare Städte als Lernorte nachhaltiger Entwicklung und darüber hinaus untersucht. Multiple Teilhabestrukturen in essbaren Städten, die von der individuellen Verwirklichung über städtische Kohäsion bis hin zu globalen Bewegungen reichen und auf ökosystemischer Multifunktionalität basieren, bieten wesentliche Anhaltspunkte für die Zukunftsfähigkeit des fokussierten Lernortes. Neben den raumbezogenen Lern- und Teilhabeprozessen wird die Entwicklung von Kompetenzen, die ein zentrales Forschungsfeld in der BNE ausmachen, ebenfalls mitbetrachtet.
In Anlehnung an übliche Methoden für den zugrundeliegenden Forschungsbereich bildet eine qualitative Herangehensweise mittels diskursiver Leitfadeninterviews die Basis der empirischen Erhebung. Die Stichprobe setzt sich aus insgesamt sechs Interviewpartner*innen aus den Vereinen „Essbare Stadt e.V.“ in Kassel (Hessen) und „Essbare Stadt Minden e.V.“ in Minden (NRW) mit jeweils einschlägigem Engagement und weiteren bedingenden Samplingeigenschaften geschlechterparitätisch zusammen. Im Zentrum der Datenauswertung steht eine deduktiv-induktive Herleitung von Merkmalsräumen mittels strukturierender Inhaltsanalyse mit einer anschließenden merkmalsheterogenen Typenbildung.
Im Ergebnis lassen sich die analysierten Lern- und Teilhabeprozesse von Mitgliedern essbarer Städte einerseits als ausdifferenzierte Selbst-Weltbeziehungen entlang einer individuellen, organisationalen, interorganisationalen und zivilgesellschaftlichen, politisch-rechtlichen, ökonomischen und natürlichen Sphäre verorten. Andererseits lassen sich diese Lern- und Teilhabeprozesse innerhalb der betreffenden Beziehungskonstellation als synergetisch bzw. konfliktfrei, als konfliktär oder als Abgrenzungsprozesse beschreiben. Lern- und Teilhabeprozesse in der individuellen, organisationalen, interorganisationalen und zivilgesellschaftlichen sowie natürlichen Sphäre bilden weitestgehend angemessene oder bereichernde Verwirklichungen der entsprechenden Selbst-Weltverhältnisse und lassen sich zu einer idealisierten Typologie zusammenführen. Hingegen dominieren in der politisch-rechtlichen Sphäre konfliktäre Lern- und Teilhabesituationen. Von den ökonomisch eingebetteten Lern- und Teilhabeprozessen wird sich darüber hinaus verstärkt abgegrenzt.
Unter Rückbezug auf den theoretischen Rahmen, stehen die empirischen Befunde über das Lernen und die Teilhabe in essbaren Städten einerseits für ein ausbalanciertes Manövrieren zwischen bestehenden und entstehenden Freiheiten und Angemessenheiten von Selbst-Weltbeziehungen. Damit beinhaltet dieser vom Lernort essbare Stadt ausgehende Balanceakt auch die transformative Herstellung und Instandhaltung möglichst freier und angemessener Selbst-Weltverhältnisse, die auf eine selbst-, gemeinschafts- und naturbezogene Gestaltung urbaner Räume von Morgen verweisen und damit Konturen einer nachhaltigen und resilienten Stadtentwicklung und darüber hinaus skizzieren. Dennoch finden andererseits mit Blick auf politisch-rechtliche Strukturen auch Instrumentalisierungen in die Lern- und Teilhabeprozesse Eingang, sodass der angestrebte Wandel teilweise gehemmt ist. In ihrem Zusammenspiel bilden die Lern- und Teilhabeprozesse in essbaren Städten folglich ein konkretes Beispiel des skizzierten „spatial turns“ in der BNE.
In der anschließenden, kritischen Würdigung werden die Limitationen des Forschungsrahmens und der Ergebnisse reflektiert. Hinsichtlich einer gewinnbringenden Anschlussfähigkeit der Arbeit endet diese mit einem sowohl praxisbezogenen als auch wissenschaftlichen Ausblick.