Kinder und Dr. Dagmar Pruin beim gemeinsamen Spiel im S,anl urfa Haliliye Community Center.

Ziel 2 der UN-Agenda 2030: Kein Hunger

Autorin: Dr. Dagmar Pruin, Präsidentin von Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe und stellvertretende Vorsitzende des Vorstandes des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung e. V.

(Juli 2025) Vor rund zehn Jahren haben sich die Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 ambitionierte Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) gesetzt. Ziel 2: „Kein Hunger“ ist das ehrgeizigste. Es zielt darauf ab, Hunger zu beenden, Ernährungssicherheit und bessere Ernährung zu erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern. Doch wo stehen wir im Jahr 2025 — zwei Drittel der Zeit sind vergangen — bei der Erreichung des Ziels? Und welche Rolle spielt nachhaltige Landwirtschaft, insbesondere die Agrarökologie, bei der Bekämpfung von Hunger? 

Der jährliche Bericht der Welternährungsorganisation „The State of Food Security and Nutrition in the World 2024“ zeigt: Im Jahr 2023 litten weltweit rund 735 Millionen Menschen an chronischem Hunger — 122 Millionen mehr als 2019. Besonders betroffen sind Afrika südlich der Sahara und Südasien. Ursachen sind Konflikte, Klimawandel, wirtschaftliche Krisen sowie die Folgen der Corona-Pandemie. Fast jeder dritte Mensch hat keinen regelmäßigen Zugang zu ausreichend nahrhafter Nahrung. Besonders alarmierend: 148 Millionen Kinder unter fünf Jahren sind zu klein für ihr Alter, 45 Millionen akut unterernährt. 

Die Entwicklungen in Bezug auf das Nachhaltigkeitsziel 2 verlaufen insgesamt zu langsam oder sind sogar rückläufig. Die FAO geht inzwischen davon aus, dass das Ziel einer „Welt ohne Hunger“ bis 2030 nicht erreicht werden wird. Nur durch große Anstrengungen kann die Anzahl der hungernden Menschen wieder sinken. Deutschland hat sich verpflichtet das Nachhaltigkeitsziel 2 im Inland und durch Entwicklungszusammenarbeit zu verwirklichen. Laut aktuellem Bericht der Bundesregierung für das High-Level Political Forum (HLPF) 2025, ein Forum zur Überprüfung der Agenda 2030, ist der Hunger in Deutschland weitestgehend überwunden. Doch Herausforderungen bleiben bestehen. Auch hierzulande sind Menschen von Ernährungsunsicherheit betroffen, etwa durch Armut und steigende Preise für gesunde Lebensmittel. Viele Kinder ernähren sich ungesund, auch weil Ernährungsprogramme in Schulen fehlen. Politischen Handlungsbedarf gibt es zudem bei den Themen Lebensmittelverschwendung und nachhaltige Landwirtschaft. 

Deutschlands Verantwortung reicht über die eigenen Grenzen hinaus. In den letzten Jahren hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zahlreiche Projekte unterstützt, die gemeinsam mit Partnern vor Ort in Land- und Weidewirtschaft oder Fischerei zu nachhaltigerer Ernährungsproduktion beigetragen haben. Diese Projekte haben in vielen Regionen des Globalen Südens zu mehr Nahrungsvielfalt und Widerstandsfähigkeit gegenüber Dürre, Schädlingsbefall und Bodenerosion und zu besserem Land-, Wasser- und Fischereimanagement geführt. 

Umso besorgniserregender sind die aktuellen Kürzungen im Entwicklungsetat 2025. Gerade jetzt sollte Deutschland mehr internationale Verantwortung übernehmen. Stattdessen drohen wichtige Programme zur Förderung nachhaltiger und vielfältiger Nahrungsproduktion eingestellt zu werden. Wir warnen, dass diese Einsparungen die globale Ernährungssicherheit schwächen und die Umsetzung des Menschenrechts auf eine angemessene Ernährung gefährden. Unter diesen Kürzungen leiden Menschen. Jetzt braucht es mehr Einsatz und langfristige Lösungen. Man lässt keinen Menschen verhungern! 

Ein zentrales Element des Nachhaltigkeitsziels 2 ist die Förderung nachhaltiger Landwirtschaft. Agrarökologie verbindet traditionelles Wissen mit modernen Erkenntnissen und setzt auf vielfältige, standortangepasste Anbaumethoden. Sie schonen Ressourcen, stärken die Widerstandsfähigkeit gegenüber Klimaveränderungen und verringern die Abhängigkeit von Dünger-, Pestizid- oder gar Nahrungsmittelimporten. Im südlichen Afrika — etwa in Simbabwe, Sambia und Malawi — zeigte sich zum Beispiel, wie riskant die Abhängigkeit von Maismonokulturen ist. Diese sind auf importierte Mineraldünger und Pestizide angewiesen. In Dürrejahren brechen die Maisernten ein, Millionen Menschen mussten hungern. Gleichzeitig verdrängt Mais andere, oft widerstandsfähigere und nährstoffreichere Anbausorten. 

Brot für die Welt und seine Partnerorganisationen zeigen, wie agrarökologische Ansätze, die Land- und Weidewirtschaft, Fischerei und Viehhaltung einbeziehen, die Ernährungssituation verbessern. Agrarökologie stärkt Frauen in allen Bereichen der Nahrungsproduktion und fördert ihre Teilhabe. Ein Projektbeispiel aus Malawi verdeutlicht die Vorteile agrarökologischer Alternativen. Dort unterstützen lokale Initiativen Kleinbäuerinnen und -bauern beim Anbau verschiedener Kulturpflanzen wie Hülsenfrüchte, Süßkartoffeln und Hirse. Diese sind widerstandsfähiger gegen Klimafolgen wie Trockenheit und tragen zu größerer Nahrungsvielfalt bei. Der Verzicht auf teure Mineraldünger und Pestizide senkt die Produktionskosten und schont die Umwelt. 

Die Herausforderungen der Welternährung erfordern systemische Veränderungen. Der Welternährungsausschuss (Committee on World Food Security, CFS) in Rom ist das zentrale internationale Gremium, das Empfehlungen für eine nachhaltige und gerechte Ernährungspolitik entwickelt. Der CFS bringt Regierungen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Privatwirtschaft an einen Tisch und setzt sich für einen ganzheitlichen Ansatz zur Hungerbekämpfung ein. In seinen Empfehlungen betont der CFS die Notwendigkeit, Ernährungssysteme umfassend zu transformieren — hin zu nachhaltigen, resilienten und gerechten Strukturen, die Umwelt, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen berücksichtigen. Genau das unterstützen wir als Brot für die Welt gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen weltweit und genau das fordern wir auch von der Bundesregierung ein. 

Aktuell ist das Ziel „Welt ohne Hunger“ noch fern. Doch nachhaltige, agrarökologische Ansätze und die Stärkung lokaler Ernährungssysteme zeigen: Es ist möglich, die Ernährungssituation zu verbessern, die Umwelt zu schützen und die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen zu stärken. Deutschland hat das Potenzial, dabei eine Vorreiterrolle einzunehmen — durch Förderung nachhaltiger Ernährungsproduktion, die Stärkung der Rechte von Nahrungsproduzentinnen und –produzenten, die konsequente Finanzierung von Entwicklungsprojekten. Denn es geht um die Würde des Menschen und ein Leben ohne Hunger.