Bachelorarbeit, Fachbereich Soziologie, 81 Seiten, dt.
Zusammenfassung:
Die soziale und politische Wahrnehmung allgemein gültiger Werte und Normen im Umgang mit der Natur ist relevanter als je zuvor. Anhand vieler gesellschaftspolitischer Entwicklungen weltweit rund um Klimastreiks wird gerade das große außerschulische Interesse junger Personen an Nachhaltigkeit und Umweltschutz deutlich. Auch im Rahmen des Schulunterrichtes steigt die Aktualität des Themas, wie beispielsweise der für alle Schulformen geltende Bildungsplan 2016 des Landes Baden-Württemberg zeigt. Dieser beinhaltet sechs Leitperspektiven, von welchen eine das Bildungskonzept „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ (BNE) ist. Die grundlegende Idee von BNE dabei ist, Kompetenzen der SchülerInnen im Bereich Nachhaltigkeit auf mehreren Ebenen auszubilden, um einer der wichtigsten globalen Herausforderungen der heutigen Zeit entgegenzutreten. Zentrale Neuerung ist hier die fachspezifische und fächerübergreifende Vermittlung von Fähigkeiten zum Thema Nachhaltigkeit. Das Konzept BNE wurde zwar bereits Anfang der 2000er Jahre in die Bildungspolitik implementiert, stand jedoch lange Zeit wegen seinem zu weiten und diffusen Rahmen in der Kritik.
Die folgende Bachelorarbeit untersucht die Nachhaltigkeitskompetenz von Schülerinnen und Schülern an weiterführenden Schulen in Baden-Württemberg mit besonderem Blick auf verschiedene bildungstheoretische Ansätze der BNE und auf Forschung zur Erfassung von Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewusstsein, dessen Entwicklung und Umsetzung in Handeln. Dabei steht die Frage im Zentrum, welche Einflüsse des Bildungsniveaus und Alters auf die Nachhaltigkeitskompetenzen der SchülerInnen bestehen und ob einzelne Bereiche der Nachhaltigkeitskompetenz miteinander interagieren. Grundlage für die Analyse ist ein Datensatz des Forschungsprojektes BUGEN (BNE im Unterricht – Gelingensbedingungen für die Entwicklung von Nachhaltigkeitskompetenz). Die interdisziplinäre Forschungsgruppe des Projekts BUGEN erhob in zwei Perioden, zu Beginn und zum Ende des Schuljahres 2018/2019, wie gut sich die Leitperspektive BNE des neu gestalteten Bildungsplans des Landes Baden-Württemberg auf Schülerebene umsetzen lässt.
Mit dem in der ersten Erhebung entstandenen Datensatz (N=1622) betrachtet die Arbeit auf bivariater und multipler Ebene Zusammenhänge einzelner Facetten von Nachhaltigkeitskompetenzen untereinander und zwischen weiteren Faktoren. Die multiplen Regressionsanalysen mit den abhängigen Variablen nachhaltigkeitsbezogenes Wissen und nachhaltigkeitsbezogenes Verhalten untersuchen die Stärke des Einflusses verschiedener Faktoren. Besonders wichtig ist dabei die Frage, ob Alters- und Bildungseffekte der Nachhaltigkeitsfacetten „nachhaltigkeitsbezogenes Wissen“, „affektiv-motivationale Einstellungen“ und „nachhaltigkeitsbezogenes Verhalten“ auftreten.
In der Analyse wurden die Werte der als Skalen zusammengefassten Nachhaltigkeitsbereiche im Datensatzes in Gruppen unterteilt, um Aussagen über die Zu- oder Abnahme proportionaler Anteile treffen zu können. Wie bereits vorherige Studien zeigen konnten, nimmt auch hier das nachhaltigkeitsbezogene Wissen mit Höhe der Klassenstufe in der Gesamtstichprobe zu, während das nachhaltigkeitsbezogene Verhalten abnimmt. Außerdem zeigt sich im Vergleich der Schulformen, dass in Gymnasien der Anteil der SchülerInnen mit stark ausgeprägten Nachhaltigkeitsfacetten am höchsten ist.
Die Abnahme der Gruppe von SchülerInnen mit hoher motivationaler Einstellung und stark ausgeprägtem nachhaltigkeitsbezogenem Verhalten in der Gesamtstrichprobe bei steigender Klassenstufe bietet Grund zur Vermutung, dass die Facetten Motivation und Verhalten in einem direkten Zusammenhang miteinander stehen. Forschungserkenntnisse anderer WissenschaftlerInnen deuten zudem darauf hin, dass Schulform und Klassenstufe zwar einen Einfluss auf Wissen im Bereich Nachhaltigkeit haben, jedoch nicht zwingend auf das nachhaltigkeitsbezogene Verhalten. Eine Regressionsanalyse zum Einfluss von der Schulform auf nachhaltigkeitsspezifisches Wissen zeigt hier ähnliche Ergebnisse, nämlich einen Bildungseffekt der Variable Wissen. Die Facette nachhaltigkeitsbezogenes Verhalten wird hingegen nur minimal durch den Faktor Wissen und nicht signifikant vom Schultyp beeinflusst. Auch die zur Kontrolle von Bildungseffekten verwendete durchschnittliche Gesamtnote zeigt einen zwar signifikanten, aber sehr schwachen Effekt auf nachhaltigkeitsbezogene Verhaltensabsichten. Diese hängen am stärksten von affektiv-motivationalen Aspekten ab.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung belegen zum einen die Hauptthese der Arbeit, nämlich dass sich motivationale und behaviorale Aspekte im Gegensatz zu kognitiven Aspekten kaum am Schultyp festmachen lassen. Außerdem wird durch die Ergebnisse deutlich, dass Motivation für nachhaltiges Verhalten einen wesentlich stärkeren Einfluss als Wissen hat. Mit Blick auf die Kritik an der Reproduktion sozialer Strukturen durch das Bildungssystem ist dies ein positiver Aspekt. Neben Wissen sollte im schulischen und außerschulischen Rahmen darauf gezielt werden, die Motivation der Schülerinnen und Schüler zu fördern, da an diesem Punkt das Größe noch nicht ausgeschöpftes Potenzial zu vermuten ist, das durch BNE intensiver aufgegriffen werden könnte.
Die Wissensunterschiede zwischen verschiedenen Schulformen zeigen außerdem, dass BNE im Bildungssystem noch einen großen Beitrag zu leisten hat. Gerade im Kontext bildungspolitischen Absichten, durch mehr Wissen ein nachhaltigkeitsbewusstes Handeln positiv zu beeinflussen und so eine umweltfreundliche Entwicklung zu gewährleisten, bedeutet der schwache Einfluss des Wissens ein eher ernüchterndes Ergebnis. Zu dieser Schlussfolgerung gilt es jedoch zu ergänzen, dass die Korrelation von Wissen und Motivation im Bereich Nachhaltigkeit eine intervenierende Abhängigkeit andeutet. Somit könnte Wissen indirekt auf das Verhalten einwirken, was einen Anlass für weitere Untersuchungen zu diesem Thema bietet. Mit Blick auf die Verbesserung aller Nachhaltigkeitskompetenzfacetten wäre es darüber hinaus spannend, in einer weiteren Analyse die Ergebnisse der zweiten Erhebung des Projekts BUGEN in einen Kontext zu diesen Analyseergebnissen zu setzen.