Kirchenasyl - Theologisch-ethische Grundlagen und empirische Relevanz

Autor: Gay, Denis
Jahr: 2015

Bachelorarbeit, Fachbereich Theologie, 76 Seiten, dt.

Zusammenfassung

In der Bachelorarbeit mit dem o.g. Titel bildet die theoretische Erörterung des Kirchenasyls bezüglich der gesetzlichen und biblischen Grundlagen und ein Interview mit einem Geflüchteten, der sich im Kirchenasyl befand, den Kern der Arbeit.

Die gesetzlichen Grundlagen des Asyls und Kirchenasyls sind komplex und werden im zweiten Kapitel erörtert. Der altgriechische Begriff ἂσυλος beschreibt die Negation jeder physischen Gewalt gegenüber eines Menschen, der im modernen Asylbegriff aufgenommen wird. Daneben beschreibt der moderne Begriff die Zuflucht an einen sicheren Ort, der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit dem Flüchtlingsbegriff eng verbunden ist. So ist ein Flüchtling ein Mensch, der aufgrund seiner Rasse, Nationalität, Religion, politischer Überzeugung oder Zugehörigkeit verfolgt wird. Ihm steht zum einen das Recht zu, in einem anderen Land Zuflucht zu finden. Zum anderen darf der Zufluchtsstaat die Person bei drohender Gefahr für Leib und Seele nicht abweisen. Das Asylrecht in Deutschland hat sich im Laufe der Zeit gewandelt. Im Mai 1949 haben die Gründungsväter und Gründungsmütter der Bundesrepublik Deutschland im Parlamentarischen Rat das uneingeschränkte Recht auf politisches Asyl im Grundgesetz verankert. Der Artikel 16 wurde als Gegenpol zur massiven Verfolgung zwischen 1933 und 1945 gesehen. Im Jahr 1993 wurde das Asylgesetz nach langem Zerren und einer politischen und medialen Schlammschlacht massiv verschärft, indem die Drittstaatregelung, sichere Herkunftsländer und das Flughafenverfahren eingeführt wurden, der Asylkompromiss. Durch diese Gesetzesverschärfung ist die Anzahl der Asylanträge in Deutschland, die vorher aufgrund der Konflikte in Osteuropa in den 90ern stark angestiegen ist, bis in die 2000er stark gesunken. Eine erneute Verschärfung des Asylgesetzes wird momentan im Bundestag und im Bundesrat diskutiert. Das Asylrecht in Europa ist maßgeblich in den Dublin-Verordnungen geregelt. Durch diese Vereinheitlichung der nationalen Vorgehensweisen im Asylprozess liegt die Zuständigkeit bei dem Staat, in dem der Geflüchtete das erste Mal Kontakt aufgenommen hat. Ob damit der territoriale Kontakt, durch Betreten des europäischen Gebietes, oder der verwaltungstechnische Kontakt, durch Beantragung des Asyls oder erkennungsdienstliche Behandlung, gemeint ist, wird in Europa unterschiedlich ausgelegt.

Die biblischen Grundlagen des Kirchenasyls beziehen sich zum größten Teil auf die hebräische Bibel und bilden das dritte Kapitel dieser Arbeit. Das Alte Testament beinhaltet umfangreiche Asyl- und Sozialgesetze und spricht von der Möglichkeit des Schutzes an Tempelanlagen und in einer Asylstadt für Totschläger, um den Automatismus der Blutrache zu durchbrechen. Des Weiteren lässt sich in der Tora ein ausführliches Fremdengesetz finden. Besonders Fremde stehen unter göttlichem Schutz und genießen eine Behandlung, die über die normale Gastfreundschaft hinausgeht. Dennoch erfährt die Ausübung der Asylgesetze erhebliche Kritik von Propheten, die besonders den Missbrauch und die Erhabenheit von Hütern von Recht und Gerechtigkeit tadeln. Darüber hinaus wird durch die Kritik deutlich, dass das Asyl und Wohlergehen einer Person einzig bei der Entscheidungsgewalt des Herrschers liegt.

Das vierte Kapitel führt in das moderne Kirchenasyl ein, welches eine zeitlich befristete Aufnahme von Flüchtlingen, denen bei einer Abschiebung Gefahren für Leib und Leben oder menschenrechtswidrige Härten drohen, in Räumen von Kirchengemeinden darstellt. Dabei wird das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erneut aufgefordert, alle sozialen, humanitären und rechtlichen Schutzgründe zu prüfen, um eine Abschiebung auszusetzen. Die Anzahl der Kirchenasyle ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Im Jahr 2014 wuchs die Zahl auf das 500-fache des Vorjahres an. Insgesamt hat die Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche im selben Jahr 430 Kirchenasyle verzeichnet. Die Zahlen aus 2015 bestätigen, dass mehr Kirchenasyle John Denis Gay Bachelorarbeit: „Kirchenasyl - Theologisch-ethische Grundlagen und empirische Relevanz“ durchgeführt werden. Ebenfalls ist zu verzeichnen, dass von den 212 beendeten Kirchenasylen 206 mindestens mit einer Duldung erfolgreich abgeschlossen wurden.

Im fünften Kapitel der Arbeit werden die theologisch-ethische Begründung für ein Kirchenasyl und die drohenden Konsequenzen für einen Schutzgebenden dargestellt. Da regelmäßig Kritik am Kirchenasyl genommen wird, besonders nachdem der Innenminister Anfang 2015 die Praxis des Kirchenasyls fundamental abgelehnt hatte, denn das Asylmonopol liegt einzig beim Rechtsstaat, müssen sich Gemeinden und Unterstützer für ihre Praxis des Kirchenasyls erklären. Jede Übertretung eines Gesetzes ist mit Strafen verbunden, auch im Asylrecht. Daher machen sich insbesondere Schutzgebende straffällig, wenn sie einen Schutzsuchenden bei einer Straftat unterstützen. Sowohl im Aufenthaltsgesetz als auch im Strafgesetzbuch drohen Schutzgebenden Geldstrafen und Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren, wenn sie eine Straftat unterstützen oder schützen. Die Argumentation für ein Kirchenasyl lässt sich in drei Dimensionen unterteilen. Zum einen die rechtliche Dimension. Die Kirchenasylunterstützer argumentieren mit dem Grundgesetz. Dabei ist das Kirchenasyl ein Mittel, die Rechtsstaatlichkeit der Bundesrepublik aufrecht zu halten und Willkür- und Unrechtsherrschaft zu mindern. Artikel 20 des Grundgesetzes ruft jeden Bürger auf, aktiv Widerstand zu leisten, wenn die demokratische Ordnung in Gefahr ist, notfalls mit Gewalt. Des Weiteren werden die Artikel der Menschenwürde, das Grundrecht auf freie Entfaltung und die positive Religionsfreiheit herangezogen, um den Gesetzesübertritt zu legitimieren. Als zweite Dimension ist die biblisch-theologische Dimension zu nennen. Die biblischen Texte erzählen zum einen von einem Leben als Fremder in einem fremden Land. Zum anderen erhalten Fremde im eigenen Land einen besonderen Schutz, denn nach biblischen Aussagen liebt Gott die Fremden und sie stehen unter seinem Schutz. Dies wird außerdem durch die Sozialgesetzgebung im Alten Testament verdeutlicht. Ebenfalls eine besondere Zuneigung erfahren die Armen, Schwachen und Fremden im Neuen Testament. Jesus selbst fordert in der Erzählung des barmherzigen Samariters seine Begleiter auf wie der Samariter zu handeln. Die dritte Dimension ist die rechtsethische Dimension. Sie behandelt das Spannungsfeld zwischen objektiven und subjektiven Recht, zwischen dem Naturrecht und dem Rechtspositivismus, zwischen Recht und Ethik und versucht eine Antwort zu geben, warum und was rechtens ist. Der rechtsethische Normativismus eröffnet Räume, damit Rechte und Gesetze auf ethischen Grundlagen geprüft werden können. Da Gesetze zeitlich und kulturell geprägt sind, müssen die festgeschriebenen Verfahren und die dazugehörigen Gesetze regelmäßig überprüft werden, sodass weder ein unerträgliches Maß an Ungerechtigkeit oder gar unrichtigem Recht entsteht. Somit ist geltendes Recht veränderlich. In Bezug auf die Praxis des Asylgesetzes bedeutet es, dass die Rechtsstaatlichkeit in der Asylpraxis bewahrt werden muss, indem der Staat jeden Einzelfall prüft und Leib und Seele des Menschen schützt.

Inhaltlich schließt das sechste Kapitel mit einem episodischen Interview die Bachelorarbeit ab. In dem Interview berichtet der Geflüchtete von seiner Lebenssituation während der Flucht, von der erfahrenden Unterstützung und seinen Perspektiven an den jeweiligen Orten. Sowohl auf seiner Flucht über den afrikanischen Kontinent als auch in Italien und Deutschland waren seine Lebensumstände an der Grenze des Unzumutbaren. Auf wenigen Quadratmetern teilte er sich in der Flüchtlingsunterkunft mit fünf Männern einen Raum mit Waschbecken. Es existierten weder individuelle Unterstützungsangebote noch ergab sich eine reelle Perspektive für ihn, um aktiv sein Leben zu gestalten. Ein Gefühl des „Allein-gelassen-werdens“ entwickelte sich bei den verschiedenen Stationen der Flucht. Erst durch die drohende Abschiebung und die Möglichkeit des Kirchenasyls eröffneten sich neue Perspektiven. Der Interviewpartner erfuhr das erste Mal seit seiner Flucht aus seiner Heimatstadt, dass er als Mensch angenommen wird. Das Kirchenasyl hat ihn als Mensch, mit seiner Geschichte und Persönlichkeit, in den Mittelpunkt gestellt, indem die Gemeinde ihn als Mensch ins Zentrum ihrer Mitte nahm.